Samstag, 26. September 2009

Lösungen für Afghanistan

Kurz vor der Bundestagswahl möchte ich etwas zum Einsatz der Bundeswehr bzw. dem Krieg in Afghanistan schreiben. Es ist schon erschreckend, wie schleichend, Stück für Stück die deutsche Gesellschaft militarisiert wird bzw. wie die Öffentlichkeit mit Nachrichten von der Front gefüttert wird. Beschränkte sich die gelegentliche Nachrichtenlage zu Beginn des Einsatzes noch eher auf die Ausbildung von afghanischen Polizisten, zivilem Aufbau und großen Vorhaben im "friedlicheren" nördlichen Einsatzgebiet der Bundeswehr, so hören wir jetzt fast täglich von Schusswechseln, verletzten deutschen Soldaten, getöteten Afghanen ehhh "Aufständischen", gestiegenen Zahlen von traumatisierten deutschen Soldaten, Misstrauen der Bevölkerung gegen die Soldaten, einem Bedarf an besser - sprich auf realen Krieg - vorbereiter und entsprechend ausgestatter Bundeswehr usw. usf. Man gewöhnt sich fast schon an diese Nachrichten. Der Einsatz des deutschen Militäts wird letztlich zur Normalität.

Ich erinnere mich an einen spannenden Fernsehbericht über den Einsatz einer Frau, deren Namen ich leider nicht mehr erinnere. Sie arbeitete im Auftrag einer Hilfsorganisation für den zivilen Aufbau im ländlichen Afghanistan. Diese Frau arbeitete mit viel Empathie und Fingerspitzengefühl für die afghanische Kultur. Vor den Dorfältesten stellte sie sich z.B. behutsam als Tochter eines deutschen Vaters vor, die eigentlich nach dessen Wunsch ein Sohn hätte sein sollen. (was es den Dorfältesten erleichterte, dieser Frau zuzuhören). Bevor sie ihre Hilfsangebote offenbarte, erlangte sie zunächst das Vertrauen der Chefs im Dorf, was gleichzeitig Sicherheit bedeutete.

Zwei Eindrücke aus diesem Dorf blieben mir besonders in Erinnerung. Zunächst war es Tradition, dass wesentlich ältere Männer sehr Junge Frauen bzw. Mädchen heirateten. Dies festigte ihre Machtposition gegenüber den Frauen. (UNICEF Foto des Jahres 2007 wurde übrigens ein Brautpaar in Afghanistan, er ist 40 Jahre alt, sie 11 Jahre...) Die jungen Frauen/Mädchen waren dann routinemäßig als Mütter überfordert. Sie waren viel zu jung und unerfahren, keiner half mit Rat und Tat bei der Pflege der Säuglinge. Die deutsche Helferin berichtete entsprechend, dass trotz ausreichender Versorgung mit Lebensmitteln viele Säuglinge starben, einfach aus dem Unwissen der Mutter bzw. Eltern, wie diese zu ernähren seien.
Der zweite bei mir nachhallende Eindruck war, dass die Säuglinge in feste Tücher, straff gewickelt bewegungsunfähig und alleine für längere Zeit in einem Raum belassen wurden, um sie ruhig zu stellen. (Auf den inneren Terror, der dadurch schon bei Säuglingen entsteht, hat insbesondere der Psychohistoriker Lloyd deMause immer wieder hingewiesen) Die Helferin sagte den Vätern dieser Säuglinge, dass ihre Kinder nicht stark und kräftig werden würden, wenn sie sich nicht bewegen würden können. Das verstanden diese. Ihre Schockiertheit über diese Zustände musste sie dabei zurückhalten und eben Argumente finden, die für die Kultur des Dorfes verständlich waren.

Bisher habe ich nicht viel über die Kindheit in Afghanistan gefunden: Die Kindersterblichkeitsrate ist enorm hoch. 154,67 von 1000 Kindern starben im Jahr 2008. (vgl. index mundi, Afghanistan Kindersterblichkeit) Die Caritas gibt an, dass im Schnitt 165 von 1.000 Kindern sterben, bei oder kurz nach der Geburt. 279 von 1.000 Kindern, so zeigen die Statistiken weiter, sterben noch innerhalb der ersten fünf Lebensjahre. (http://www.caritas-international.de/10347.html)
Lloyd deMause hat kurz auf die mittelalterlichen Erziehungspraktiken in diesem Land hingewiesen. (vgl. deMause, 2005, S. 39ff) Auf Grund der enormen Gewaltbereitschaft, die in Afghanistan herrscht, ist - folgt man den Grundthesen dieses Blogs - mit einem hohen Ausmass an Gewalt und Vernachlässigung gegenüber den afghanischen Kindern zu rechnen. Nach Schätzungen von UNICEF heiratet rund die Hälfte der afghanischen Frauen, bevor sie 18 Jahre alt sind. Insofern ist allein auf Grund dieser Information auch mit einem sehr hohen Ausmass von sexuellem Missbrauch zu rechnen. Bei den Kindern müsste eine Friedenspolitik, die auf langfristige Erfolge baut, ansetzen.

(Nachträgliche Ergänzung wichtiger Zahlen über häusliche Gewalt in Afghanistan: "Afghanistan. Gewalt gegen Kinder und er(un)mögliche Frieden")

Der erste Schritt wäre, auf Grund des fehlenden Datenmaterials den üblichen Umgang mit den Kindern vor Ort gründlich zu untersuchen und zusätzlich Erwachsene repräsentativ nach ihren Kindheitserfahrungen zu befragen. Dabei wäre es auch insbesondere interessant, wie sich ggf. die Kindheit von Talibankämpfern, Nicht-Talibananhängern und Taliban-Gegnern unterscheidet. Danach müsste die internationale Staatengemeinschaft einen großflächigen Plan entwickeln, wie man den afghanischen Kindern schnellstmöglich und nachhaltig helfen kann (und zwar in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Entscheidungsträgern der Afghanen). Eine Idee wäre dabei, in Europa und Nordamerika lebende Afghanen, die fortschrittlichere Erziehungsmethoden kennengelernt und für sich übernommen haben, als HelferInnen für diesen Einsatz in ihrem Heimatland zu gewinnen. Diese könnten sicherlich auch sehr gute Vorschläge machen, wie man kulturbedingte Probleme überwinden könnte und am Besten an die Sache heran geht. Für die kommende Generation wäre dies eine Chance für einen wirklichen Schritt hin zu einer Demokratie und zu einem friedlicheren Miteinander. Afghanistan braucht vor allem mehr Kinderschutz und nicht mehr deutsche Soldaten!
Leider ist absehbar, dass dies von der Politik nicht erkannt werden wird. Dabei ist dieser Vorschlag nicht unrealistisch, stehen doch im Grunde genügend Mittel zur "Lösung des Problems" zur Verfügung. Die deutsche Beteiligung am Afghanistaneinsatz kostet die Steuerzahler für den Zeitraum von zwölf Monaten - nach offiziellen Angaben - insgesamt rund 487 Millionen Euro. Das Pentagon bezifferte die Ausgaben speziell zum Afghanistan-Einsatz der US-Armee auf 78,1 Milliarden Dollar – für sechs Jahre Krieg seit 2001. (vgl. stern.de, 12.10.2007, Einsatzkosten Afghanistan "Dingos, Drohnen und Auslandszulagen") Bei einem afghanischen Pro-Kopf Bruttoinlandsprodukt (Stand 2008) von 758 US-Dollar wird deutlich, was man alles mit dem Geld, das für den Krieg ausgegeben wurde und wird, hätte realisieren können.

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