Dienstag, 29. März 2016

Islamistischer Terror. Weitere "Einzelfallbiografien" und der gesellschaftliche Unwille, die Ursachen klar zu benennen

Kürzlich hatte ich von der Kindheit von Kerim Marc B. berichtet, dessen Kindheitsgeschichte für mich nach meinen Recherchen hier im Blog kein Einzelfall darstellt. Ergänzend fand ich aktuell zwei weitere Fälle.

Der Münchner Harun P. (mit afghanischen Wurzeln) ist ca. Mitte 2015 wegen seiner Beteiligung am Terror in Syrien zu elf Jahren Haft verurteilt worden.  Der Mann war der erste Syrien-Rückkehrer, der wegen Mordes vor einem deutschen Gericht stand. (Bayrischer Rundfunk, 15.07.2015, „Elf Jahre Haft für Münchner Islamisten“)
Im Prozessverlauf kamen auch Details über seine Kindheit an die Öffentlichkeit. Das Verhältnis zu seinem Vater beschreibt er so: „Ich konnte es ihm nie Recht machen. Er war keine Bezugsperson für mich und machte alles schlecht, was ich tat.“ (tz, 20.01.2015, Terror-Prozess: "Ich wollte Teil des Heiligen Krieges sein" - von Andreas Thieme) Als Kind sei er von seinem Vater so lange geschlagen worden, "bis meine Mutter dazwischen ging". (focus.de, 20.01.2015, "Dann explodiere ich einfach": Harun P. erklärt den Terror in sich) Aber auch die Mutter war offenkundig - nach dem o.g. tz Artikel - alles andere als friedfertig: „Meine Mutter hat einige Stöcke auf mir zerbrochen. Ich habe als Kind auch gut eingesteckt.“
Als Jugendlicher begann Harun nach eigenen Angaben sich zu ritzen, sprich sich die Unterarme aufzuschneiden. Er bezeichnet sich selbst als depressiv. Später erlebte er weitere Brüche. Das gemeinsame Kind mit seiner Freundin stirbt kurz nach der Geburt, die Beziehung scheitert danach. Er verliert seinen Job und offensichtlich jeden Halt.
In der FAZ wurden die Schilderungen über Haruns Kindheit folgendermaßen kommentiert:
Es war eine Schilderung von großer Offenheit, aber ohne Selbstmitleid, die aber letztlich nicht erklärte, wie es zu seiner Radikalisierung und Unterordnung unter eine islamistische Ideologie kam.“
(faz.net, 20.01.2015, „Die Wut des Harun P. - von Albert Schäffer)
Ich finde solche Anmerkungen immer wieder erstaunlich! Beide Elternteile misshandelten ihn als Kind und trotzdem bleiben dem Journalisten Fragezeichen, wie es zu einer solchen Radikalisierung kommen konnte? Bzgl. dem weit verbreiteten Wegsehen oder eher Augenschließen vor den tieferen Ursachen der Gewalt habe ich am Ende des Textes noch weitere Anmerkungen.

Nebenbei bin ich auf einen weiteren "Einzelfall" gestoßene: Oliver N.
Der minderjährige  IS-Heimkehrer (und Konvertit) ist in Österreich zu 2 1/2 Jahren Haft verurteilt worden.
Die Gerichtspsychiaterin Gabriele Wörgötter skizzierte in diesem Zusammenhang die Kindheit und frühe Jugend des 17-Jährigen, "der in "äußerst desolaten" Verhältnissen aufgewachsen sei und nie die Geborgenheit einer Familie erfahren habe. Dieses Aufwachsen habe eine Persönlichkeitsentwicklungsstörung zur Folge gehabt. Der Jugendliche suche nach Halt und Bindung, die ihm die Familie verwehrt habe. Er sehne sich nach emotionalen Beziehungen. Seine Ohnmachts- und Minderwertigkeitsgefühle kompensiere er mit Gewalt und Aggressionen. "Das war die Grundlage für seine Radikalisierung", betonte Wörgötter. Die radikalislamistische Ideologie habe dem "massiv entwurzelten" Burschen Halt und Anerkennung versprochen." (diepresse.com, 15.07.2015, "Wien: Zweieinhalb Jahre Haft für 17-jährigen IS-Heimkehrer") Die Prognose nach der Haft sieht die Gutachterin kritisch, eine Läuterung halte sie für ausgeschlossen. "Ein Einfühlungsvermögen in die Schmerzen anderer hat er nicht." (ebd.)  Was auch immer hinter den Worten "desolate Verhältnisse" in der Kindheit steckt, man kann sich vorstellen, dass es eine Menge destruktiver Erfahrungen braucht, damit ein Mensch sein Einfühlungsvermögen verliert.

Abschließend noch eine Anmerkung zu der ZDF-Sendung von Markus Lanz vom 22.03.2016.
Darin kam auch der Extremismusexperte Asiem El Difraoui zu Wort. Interessant wird es ab ca. Minute 39 und vor allem ab Minute 40 in der Sendung. Die europäischen Dschihadisten hätten von Religion oft gar keine Ahnung, sagt El Difraoui. "Das sind Leute, die haben persönliche Traumas,  die fühlen sich persönlich ausgeschlossen, waren kleinkriminell, zumeist haben die auch riesen Probleme im Elternhaus." Rainer Wendt (Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft) fällt dem Experten dabei ins Wort. "Jetzt sind wir wieder bei der typischen Gerichtverhandlung, wo der Therapeut aufsteht und erklärt, warum der Täter das gemacht hat und man doch bitte auch einen Hauch von Verständnis aufbringen solle." El Difraoui reagiert auf diesen Einwand sehr gut, wie ich finde, indem er darauf hinweist, dass es nicht um Verständnis für brutale Mörder ginge, sondern um die Frage, warum diese jungen Leute zu Mördern wurden, um dies zukünftig präventiv zu verhindern.
Klassisch war in dieser Sendung (man höre genau hin ! - siehe den Beitrag in der Mediathek), dass die Anmerkung über "Probleme im Elternhaus" bereits von dem Einwand des Polizeigewerkschaftes übertönt wurde, man hört die drei Worte kaum noch. Fast in symbolischer Reinform zeigte sich in dieser Sendung ganz beiläufig, dass die Gesellschaft diese Dinge nicht wissen will. Ich bin mir aber auch ziemlich sicher, dass selbst wenn der Experte nicht übertönt worden wäre, es keine konkreten Nachfragen bzgl. dessen, was er den mit "Problemen im Elternhaus" meint, gegeben hätte. An sich ist es schon eine Verniedlichung von "Problemen" in diesem Kontext zu sprechen. Meine Recherchen zum Thema Extremismus zeigen viel mehr, dass man die Dinge ganz deutlich und ganz konkret ansprechen muss: Es geht häufig um schwere Misshandlungen, ständige Demütigungen und schwere Fälle von Vernachlässigung/Verlassenwerden. Oft auch Gewalt durch beide Elternteile, Heimaufenthalte usw.




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