Donnerstag, 27. November 2014

Je grausamer die Taten, desto deutlicher werden ihre Ursachen

Ich habe momentan etwas wenig Zeit, um „Zwischengedanken“ in Textbeiträge umzusetzen. Für diesen Zwischengedanken nehme ich mir jetzt aber doch die Zeit.

Gestern hörte ich auf NDR Info einen Sendebeitrag anlässlich der Verleihung des Sacharow-Preises an den Arzt Denis Mukwege, der sich seit Jahren um Opfer von Vergewaltigungen im Kongo kümmert.
In dem Beitrag berichtete eine Frau aus dem Kongo von einer erlebten Vergewaltigung (wobei diesen Wort nicht ausreicht, um das zu beschreiben, was ihr angetan worden ist.). Die Frau wurde an ein Kreuz auf einem Platz gefesselt, die Beine gespreizt. Eine Menge von Menschen (wohl auch Frauen) tanzte um dieses Kreuz herum, jubelte, schrie. Währenddessen wurde sie immer wieder von diversen Männern, die gerade wollten, vergewaltigt…

Ich habe schon bei dem Thema Kindesmisshandlung lernen müssen, dass es im Grunde keine Grenze der Gewalt gibt. Immer wieder stieß ich in der Vergangenheit auf Berichte, die mich absolut fassungslos machten, weil sie alles übertrafen, was ich zuvor über Kindesmisshandlung gehört und gelesen hatte. Die o.g. Gewaltszene zwischen Erwachsenen gehört für mich zu einer Kategorie von extremer Gewalt, die im Grunde unvorstellbar ist. Unvorstellbar für Menschen, die etwas fühlen.

Trotzdem mich solche Berichte sehr erschüttern, gleichzeitig lassen sie mich nicht ohne ein Verstehen zurück (Verstehen heißt niemals entschuldigen). Und mein Verstehen steigt im Grunde mit der Steigerung von Taten und Grausamkeiten an, auch wenn es vielleicht für manchen ungewöhnlich klingt, so etwas zu lesen, weil die routinemäßige Reaktion stets ein großes Fragezeichen ist. Je grausamer menschliche Taten sind, desto deutlicher wird für mich, warum sie stattfinden können.

Nur Menschen, die innerlich absolut tot sind, können so handeln, wie die Täter in der o.g. Vergewaltigungsszene. Und jede weitere Tat mehr, entfernt sie mehr von dem, was wir „Leben“ nennen. Sie werden durch ihre weiteren Taten letztlich zu innerlichen „Superzombies“, die erst im körperlichen Tod Erlösung finden.  Das bedeutet nicht, dass diese Täter nicht wie Menschen wirken können, am Imbiss etwas essen gehen, sich unterhalten, Karten spielen, einem Kind über den Kopf streicheln, über einen Witz lachen usw. Aber eines ist klar: Solche Täter fühlen gar nichts mehr, auch in ihrem privaten Leben, in Gesprächen, letztlich in jeder Sekunde ihres Lebens. Sie sind innerlich absolut kalt und erleben somit bereits die Hölle auf Erden.

In dem o.g. Bericht war die Rede von Vergewaltigungen als Kriegswaffe und dem Zugang zu Rohstoffen im Kongo. Ich glaube mittlerweile, dass eines der Grundprobleme bzgl. des Verstehens/ dem Erklären von grausamer Gewalt ist, dass viele Menschen wirklich glauben, grausame Gewalt gehöre zum angeborenen Verhaltensrepertoire von Menschen und nur die äußeren Umstände müssten entsprechend eingestellt sein, um solche Gewaltexzesse möglich zu machen...
Solchen Berichten wie o.g. gehört dagegen meiner Ansicht nach routinemäßig angehängt: Solche Täter fühlen nichts mehr, sie sind innerlich gestorben, sonst wären ihre Taten nicht möglich. Und wenn dies einmal verstanden würde, müsste die nächste Frage lauten: Ja und wie kam es denn, dass diese Menschen innerlich verstorben sind, was hat sie „getötet“? Und erst wenn diese Frage umfassend beantwortet ist, stößt man auf die eigentlichen Ursachen der Gewaltexzesse.

Warum befragen Forscher und Journalisten nicht Täter wie die aus der o.g. Szene konkreter? Die gesamte Kindheit müsste abgefragt werden; kümmerte sich jemand um das Kind, welche Gewalterfahrungen gab es, wie oft kam Gewalt vor und in welcher Form, durch welche TäterInnen? Gab es ergänzend traumatische Kriegserfahrungen, existenzielle, extreme Erfahrungen von Hunger und Elend? Wurden Menschen, vielleicht Angehörige vor den Augen des Kindes getötet? Wurde evtl. das Kind/der Jugendliche gezwungen, Anderen Gewalt anzutun usw. ? Würden diese Fragen umfassend beantwortet werden können (sofern sich die Täter konkret erinnern), würde sich auch das „Verstehen“ einstellen. Den LeserInnen dieses Blogs dürfte klar sein, von welcher Art Antwort ich ausgehe: Dem genauen Gegenteil von einem geborgenen, glücklichen Aufwachsen, sondern eher von Grausamkeiten, die jenen ähnlich sind, welche die erwachsenen Täter selbst verübten.
Kürzlich las ich aus Interesse den Wikipediabeitrag über  den schottischen Freiheitskämpfer William Wallace. In dem Beitrag wird auch die Hinrichtung (am 23.08.1305)  wegen Verrats am König besprochen.  Ich zitiere wie folgt. „An ein Pferd angebunden musste er mehrere Stunden lang nackt durch die Straßen Londons laufen, während die Bewohner ihn mit Steinen bewarfen. Anschließend wurde Wallace zuerst fast bis zum Tode gehängt, dann noch lebend kastriert und ausgeweidet – die entfernten Körperteile und Innereien wurden vor den Augen des Verurteilten und der Zuschauer verbrannt (…).“
Vor noch längerer Zeit las ich, wie es u.a. „römische Art“ war, Gefangene hinzurichten. Der Kopf des Gefangenen wurde zwischen zwei Balken gesperrt, der Körper dann so lange ausgepeitscht, bis der Gefangene tot war. Dies tat man u.a. gerne vor den Augen von Führern unterworfener Völker.

Gewaltexzesse wie heute im Kongo waren in historischen Zeiten „normal“. Steven Pinker hat darüber ausführlich in seinem Buch „Eine neue Geschichte der Menschheit“ berichtet. Ein Beispiel aus Pinkers Buch blieb mir in Erinnerung. Ein historischer Fund von einem Folterwerkzeug zeugte von der möglichen Grausamkeit. Ein metallener Ochse wurde gefunden, in dem Menschen lebendig verbrannt worden waren. Zur Belustigung der Anwesenden kamen die Schreie dann aus dem Mund des Ochsen.

Diese drei Beispiele geben - in unserer heutigen Wortwahl -die Möglichkeiten institutioneller Gewalt wieder. Von den Regierenden gewünscht und verordnet, als normale Praxis gewollt, zur Belustigung und Erheiterung, zur Abschreckung, sicher, aber letztlich immer auch um kurz etwas zu fühlen. Denn nur „innerliche Zombies“ fühlen kurz etwas, wenn andere Menschen gequält werden. Und nur Menschen die innerlich tot sind, können solche Taten - wie schon gesagt - vollbringen. Wie innerlich tot waren denn nun also unsere Vorfahren?
Wenn man sich die Erkenntnisse der Psychohistorie anschaut, dann müssen breite Schichten der Bevölkerung in historischen Zeiten innerlich tot gewesen sein; einfach, weil sie von Geburt an ständig Gewalt und Ablehnung ausgesetzt waren. So etwas überleben die meisten Menschen nicht, zumindest nicht in ihrem Inneren. (Heute gibt es da schon andere Möglichkeiten und andere Hilfsangebote für Menschen, die grausames als Kind durchmachen mussten. Aber früher?)

Um diesen Zwischengedanken zum Thema ein Schlusswort zu geben. Wer grausame Taten verstehen will, muss sich mit den Ursachen des innerlichen, emotionalen Absterbens von Tätern befassen. Dann kann auch präventiv besser gehandelt werden. Wer sich nicht mit dem Fühlen und Nicht-Fühlen befasst, muss zwangsläufig blind bzgl. den eigentlichen Ursachen bleiben und wird stets mit einem großen Fragezeichen vor den Dingen stehen.

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