Mittwoch, 30. Mai 2012

Kindheit von Zacarias Moussaoui


Die Kindheit von Zacarias Moussaoui, der bei den Vorbereitungen der Anschläge vom 11. September mithalf und in den USA zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, ist ein weiteres Lehrstück dafür, wie der „Terror in der Kindheit“ das Fundament auch für politischen Terror bildet. 

Ich bin erst jetzt auf die vorhandenen Informationen über seine Kindheit gestoßen. Immer wieder werde ich bzgl. meiner Grundthese bestätigt: Als Kind geliebte Menschen werden nicht zu Massenmördern und Terroristen. 

Der Weg eines Menschen wie Moussaoui wird ganz sicher auch durch Zufälle, Begegnungen mit radikalen Menschen, äußere Strukturen usw. beeinflusst. Aber am Anfang war Erziehung. All die möglichen Lebenszufälle, Begegnungen und Strukturen, auf die Menschen treffen, werden ja von der individuellen Psyche und den eigenen Emotionen gedeutet. Wenn das Eigene leer, trostlos, ohnmächtig, voller Hass- und Wutgefühle ist, dann steigt die Gefahr, dass sich der Weg mit den destruktiven Wegen (und bereits ideologisch fest gefahrenen Ansichten) anderer Menschen kreuzt. Solche Menschen merken dann: „Hey, ich bin ja nicht alleine mit meinem Hass!“ Die anschließenden mörderischen Gruppendynamiken sind nur möglich, da die „Teile“ der Gruppe hassbeladen sind. Ist der Einzelne nicht hassbeladen, sondern wurde er ohne Gewalt und liebevoll erzogen, würde er sich solchen extremistischen Gruppen nicht anschließen, da sie ihn emotional abstoßen würden. Dagegen fühlen sich die „Hasser“ „gut“, „sicher“ und „lebendig“ in solchen Gruppierungen. Der offene Hass und das klare Feindbild (pseudo)stabilisiert die Psyche des Einzelnen. Dem eigenen Tod wird mit Freude entgegengesehnt, da die eigene irdische Existenz eh nur Leid und Schmerz war. 

Einige ausgesuchte Infos über seine Kindheit:

Moussaouis Schwestern Djamila und Nadia schilderten auf einem Videoband die zerrütteten Familienverhältnisse. Der Vater sei ein Alkoholiker gewesen und habe lange Zeit auf der Straße gelebt. Die Familie habe er terrorisiert. „Zacarias litt darunter, von seinem Vater keine Liebe zu erhalten", sagte Nadia. Eine Sozialarbeiterin sagte aus, Moussaoui habe die ersten sechs Lebensjahre in verschiedenen Kinderheimen verbracht.“

Die Schwestern sagten auch aus, dass ihr Vater die vier Kinder und die Mutter misshandelt hätte. http://www.sueddeutsche.de/politik/-september-us-experte-moussaoui-ist-schizophren-1.844899-2

 Moussaouis Mutter sei auch während ihrer Schwangerschaften stets geschlagen worden, sagte die Sozialarbeiterin Vogelsang. (Stichwort „Fötales Drama“)

 Zudem wird in den Medien berichtet, dass Zacarias Moussaoui unter ständigem Rassismus litt, der ihm seitens der Gesellschaft entgegenschlug.



Samstag, 26. Mai 2012

Neue Ergebnisse der KFN Gewaltstudie und der Kriminologe Christian Pfeiffer spricht zudem Klartext bzgl. der gesellschaftlichen Folgen der Gewalt

Der Direktor des Kriminologischen Instituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, hat in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung (am 15.01.2012) die weiteren Ergebnisse der aktuellen Gewaltstudie veröffentlicht. (Bisher waren ja nur Ergebnisse zum Sexuellen Missbrauch bekannt gegeben worden). Das KFN hat im Jahr 2011 repräsentativ 11.428 Personen der Altersgruppe 16 bis 40 zu Gewalterfahrungen befragt.

Ergebnis bzgl. der körperlichen Gewalt:

52,1 % aller Befragten erlebten keine körperliche Elterngewalt!

"Noch deutlicher wird der Wandel der Erziehungskultur, wenn wir die Antworten der 31- bis 40-Jährigen und die der 16- bis 20-Jährigen einander gegenüberstellen. Im Vergleich dieser beiden Kindheiten ist das massive Schlagen seit den 80er Jahren um mehr als die Hälfte von 15,6 auf 7,2 Prozent zurückgegangen. Das gewaltfreie Erziehen hat dagegen von 45,1 auf 62,8 Prozent zugenommen, das häufige Schmusen von 68,6 auf 75,2 Prozent." Diese Entwicklung stützt meine Ausführungen in dem Beitrag "Geboren 2012". Wir werden entsprechend eine Welle des sozialen und gesellschaftlichens Fortschritts in Deutschland erleben, da die Psyche der Mehrheit immer weniger belastet und immer freier wird.

Und Pfeiffer hängt in seinem Beitrag weitere deutliche Worte an: "Hat sich dieser Wandel der Erziehungskultur bereits positiv ausgewirkt? Ja: Die Jugendgewalt geht seit einigen Jahren zurück. Dies zeigen unsere seit 1998 wiederholt durchgeführten Schülerbefragungen ebenso wie die Statistiken der kommunalen Unfallversicherer. Letztere belegen, dass schwere schulische Gewalttaten seit 1997 um 40 bis 50 Prozent abgenommen haben."

Auch innerhalb einer Sendung im SWR ("Schlag auf Schlag", die auch noch als Audiodatei nachzuhören ist.) Anfang des Jahres fand Pfeiffer deutliche Worte.  Er sagte im Interview vieles, was auch ich hier regelmäßig wiederhole, u.a., dass noch nie in unserer Geschichte so viele Kinder gewaltfrei aufwachsen durften, wie heute. 

Aufhorchen ließ mich besonders folgender Satz:

Er wurde gefragt: "Astrid Lindgren hat gesagt, wenn Kinder gewaltfrei aufwachsen, dann werde es künftig überhaupt weniger Aggression, Gewalt, Krieg auf der Welt geben. Was sagen Sie dazu?"

Pfeiffers Antwort: "Das ist im Prinzip schon richtig. Der nationale Charakter eines Volkes verändert sich. Warum haben wir denn in den USA diese Begeisterung für radikale Strömungen, für Todesstrafe und die Begeisterung für Schusswaffen? Dort dürfen in der Hälfte der Bundesstaaten sogar noch die Lehrer mit dem Stock schlagen. Und die Eltern können sowieso alles machen, was sie wollen."

Ganz selbstverständlich zieht der Kriminologe hier Verbindungslinien zu gesellschaftlichen Prozessen, zu Kriminalität und politischen Entwicklungen auf der einen Seite und dem Ausmaß von Gewalt gegen Kindern auf der anderen. Das ist so selbstverständlich nämlich nicht und wird - wie wir alle hier wissen - immer noch oft verdrängt und ausgeblendet. Es wäre sehr wünschenswert, dass dieser anerkannte Wissenschaftler mehr Gehör findet, denn er hat Recht bzgl. seiner Aussagen.   

Donnerstag, 24. Mai 2012

Judenretter. "Gewaltfreie Erziehung fördert den aufrechten Gang"


Ich habe eine interessante Rede des Kriminologen Christian Pfeiffer gefunden: „Zur Biographie von Gewalt und Zivilcourage(Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung der Universität Erfurt "Gewalt und Terror", 12.02.2003)

Pfeiffer bespricht u.a. eine Studie (die er nicht nennt, nach kurzer Suche findet man die Quelle, er bezog sich vor allem auf Studien von Eva Fogelman und wohl auch Oliner/Oliner), die durch amerikanische Wissenschaftler Anfang der achtziger Jahre durchgeführt wurde. Die Forscher konnten in Europa knapp 400 Judenretter ausfindig machen und haben mit ihnen ausführliche Interviews geführt.

Welche Gemeinsamkeiten haben sich in der Biographie dieser  Menschen gezeigt, die durch derart couragiertes und hilfsbereites Verhalten aufgefallen sind? Ich zitiere:

1. Gewaltfreie Erziehung fördert den aufrechten Gang. Menschen mit so ausgeprägter Zivilcourage hatten ganz überwiegend Eltern, die sie bei Konflikten nicht autoritär und mit Gewalt zu disziplinieren versucht haben, sondern mit ihnen fair und argumentativ umgegangen sind. Zwar gab es einige, die zu Hause Schläge abbekommen hatten. Aber sie machten dann deutlich, dass sie das angesichts ihres eigenen Fehlverhaltens durchaus akzeptieren konnten. Die Eltern hätten zudem nur ausnahmsweise zu diesem Mittel gegriffen und viel lieber gewaltfrei erzogen.

2.
Liebevolle Erziehung fördert die Fähigkeit, Mitleid zu empfinden und danach zu handeln. Die Eltern der Judenretter waren mit ihren Kindern durchweg sehr liebevoll umgegangen. Dabei war das keine Gluckenliebe, die nur die eigenen Küken schützt. Mindestens einer der Eltern wird als jemand beschrieben, der sich engagiert für andere Menschen in Not eingesetzt hat und so zum Vorbild für die Kinder werden konnte.

3.
Die Gleichrangigkeit der Eltern fördert die Moral der Kinder. Die Stärke moralischer Überzeugungen und die Kraft nach ihnen zu handeln, hängen offenbar wesentlich davon ab, wie die Eltern miteinander bei Konflikten umgehen. Wenn zum Beispiel ständig der Vater dominiert, weil er über größere Körperkräfte verfügt, weil das seine traditionelle Rolle ist oder weil primär er das Geld verdient, dann fördert das bei den Kindern eine eher opportunistische Grundeinstellung. Man orientiert sich am Mächtigen und lernt von ihm, die Ellenbogen kräftig einzusetzen. Die Orientierung an Grundwerten entwickelt sich dagegen, wenn die Kinder bei konflikthaften Auseinandersetzungen ihrer Eltern echte Gleichrangigkeit und faires Argumentieren erleben - verbunden mit wechselseitigem Nachgeben, damit konstruktive Lösungen gefunden werden konnten.

4.
Eine Kultur der Anerkennung fördert couragiertes Verhalten. Die Retter von jüdischen Mitbürgern stellten sich keineswegs als Helden oder Heilige dar. Sie betonten vielmehr, wie sehr ihr Verhalten in solchen kritischen Situationen davon abhängig war, ob sie in einer Gemeinschaft verankert waren, in der ehrlich geredet wurde und in der es für richtiges Verhalten liebevolle Anerkennung gegeben hat. Die Kraft zum Widerstand wuchs, wenn man in einer Großfamilie, Kirchengemeinde oder einer anderen Bezugsgruppe nachhaltig gestützt wurde.

Donnerstag, 10. Mai 2012

Erziehung und Autoritäre Persönlichkeit. Gespräche mit der Deutschen Jugend Anfang der 50er Jahre


Ich habe eine weitere Studie ausgewertet, die die deutsche Erziehungspraxis Anfang bis Mitte des 20.Jahrhunderts beleuchtet:

Pipping, Knut / Abshagen, Rudolf / Brauneck, Anne-Eva (1954): Gespräche mit der Deutschen Jugend. Ein Beitrag zum Autoritätsproblem. Helsingfords. 

Insgesamt wurden 444 junge Menschen im Alter zwischen 18 und 22 Jahren zwischen Mitte1950 und Anfang 1951 in ausführlichen, offenen Interviews befragt. Entsprechend entstammten die Befragten den Geburtsjahrgängen zwischen ca.1928 und 1932. Die Befragungen fanden in Niedersachen, Unterfranken und in Baden statt, jeweils entsprechend verteilt auf drei Großstädte, drei Mittelstädte und Landkreise. Die meisten Befragungen fanden in Schulen oder sonstigen öffentlichen Gebäuden statt (ca. 60 %).

Ich möchte vorweg eine Passage zitieren:  „Demütigungen aller Art hatten wir in Kauf zu nehmen. Selbst die Verweisung aus der Wohnung mussten die Interviewer einfach überhören, um schließlich doch noch eine Befragung zustande zu bringen. Die Unwürdigkeit und Peinlichkeit solcher Situationen, die Unfreundlichkeit und Sturheit der Ablehnungen wurden von manchen weiblichen Interviewern gegen ihre rational bessere Einsicht immer wieder als Kränkung erlebt.“ (S.37)
Es war offensichtlich nicht leicht, innerhalb der deutschen Familien Befragungen über Kindheit,  Jugend, Familienatmosphäre, Erziehungsstil, politische Einstellungen usw. durchzuführen. Insofern möchte ich hier erwähnen, dass es 34,9 % Ausfälle gab (insgesamt wurden 682 Jugendliche aufgesucht), von denen 24,4 % durch Weigerung der Eltern, Weigerung des Probanden oder dessen wiederholtem Nichterscheinen zum vereinbarten Interview zu Stande kamen. In wieweit dies das Ergebnis verzerrte bleibt allerdings Spekulation.

Und noch ein Zitat, das mir wichtig erscheint und für sich spricht: „Im ganzen gesehen war die Haltung der Jugend selbst allerdings durchaus positiv. Oft kam unsere Befragungsmethode sogar einem echten Bedürfnis nach menschlicher Aussprache entgegen. Für viele Probanden war es offensichtlich das erste Mal, dass sich ein Erwachsener so ernst und unvoreingenommen für ihre persönlichen Angelegenheiten interessierte. (…) Nicht selten wurden die Interviewer von den Probanden um Rat und Hilfe in ihren persönlichen Nöten gebeten.“ (S.49)


Die für mich wichtigsten Ergebnisse:


Körperliche Züchtigungen durch Lehrer

4,7 % erlebten besonders brutale oder harte körperliche Züchtigungen (Mädchen fast doppelt so häufig wie Jungen)
38,4 % erlebten körperliche Züchtigungen (Jungen mit 44,9 % häufiger als Mädchen mit 29,5 %)
58,8 % erlebten keine Züchtigungen


36 Einstellungen der Eltern als Erzieher wurden genannt. Die am Häufigsten genannte Einstellung war mit 301 Nennungen ( 67,79 % der Befragten) „Unbedingten Gehorsam fordern“ 


Strafverhalten der Eltern (ausgesuchte Beispiele):

28 verschiedene Strafformen wurden insgesamt erfasst. Wobei man vorweg darauf hinweisen muss, dass pro Befragten nur vier verschiedene Aussagen (!) zum Strafverhalten aufgenommen werden konnten. Pro Befragten wurden im Schnitt 2,64 Strafformen angegeben. 

Am Häufigsten genannte wurden „Schwere körperliche Züchtigungen“ , mit 326 Nennungen, sprich 73,4 % der Befragten erlebten schwere Züchtigungen. Jungen erlebten dies deutlich mehr, nämlich ca. 85 % während Mädchen zu ca.62 % betroffen waren. 

Auf Platz zwei der List stehen die „leichten körperlichen Züchtigungen“, mit 186 Nennungen, sprich 41,9 % der Befragten. Wobei hier die Mädchen etwas häufiger betroffen waren, als die Jungen.

7,9 % berichteten von schwerem Schimpfen

7,4 % berichteten von qualifizierter körperlicher Züchtigung (worunter Züchtigungen „mit Hilfe irgendwelcher Werkzeuge“ verstanden wurde) 

4,95 % berichteten von langandauerndem Liebesentzug

Leider lässt sich aus den Zahlen nicht ablesen, wie viel Prozent der Befragten keine körperliche Elterngewalt erlebt haben. Es lässt sich aber an Hand der Zahlen schätzen, dass wohl nur ein sehr geringer Teil überhaupt keine körperliche Gewalt erlebt hat. 73,4% schwere Züchtigungen sind ja belegt, dazu kommen die Befragten, die nur  leichte Züchtigungen oder ggf. auch nur qualifizierte Züchtigungen angaben. Insofern werden mit Sicherheit weit über 80 % von körperlicher Elterngewalt betroffen gewesen sein. Da die Befragungen in offenen Interviews durchgeführt wurden und die entsprechende Leitfragen für die Interviewer lauteten „Wie wurden Sie von Ihren Eltern gestraft?“und  „Gab es auch andere Strafen als Schläge?“, ist zudem das Ergebnis bzgl. der „qualifizierten Züchtigungen (also mit einem Gegenstand) ebenso fragwürdig. Die Studie von Hävernick zeigte, dass Schläge mit Gegenständen weit verbreitet waren. Hävernick hatte allerdings innerhalb der Studie auch das Ziel, konkrete Angaben dazu zu bekommen und hat sogar diverse Gegenstände, die für Schläge benutzt wurden, unterschieden. Pipping und seine Mitarbeiter haben erstens allgemeiner gefragt und zweitens war die Studie nicht auf das Strafverhalten der Eltern konzentriert, letzteres war nur ein Teilaspekt. 
 Leider wurden wie gesagt auch nur vier Antwortmöglichkeiten bzgl. der Strafformen pro Befragten mit einbezogen. Insofern weisen die Autoren darauf hin, dass andere Strafformen (z.B. emotionaler Art) wohl ebenfalls in einem hohen Ausmaß vorkamen, diese aber in ihrer Häufigkeit auf Grund der genannten Einschränkung  nicht wirklichkeitsnah erfasst wurden. Insofern wurde hier leider eine Chance verpasst, das Strafverhalten umfassend darzustellen. 

Pipping hat zudem etliche Angaben über politische Einstellungen, Autoritätshörigkeit usw. erfragt (die ich hier nicht alle wiedergeben kann) und schreibt in der Zusammenfassung: „Die Haltung eines jungen Menschen zu den verschiedenen Autoritäten scheint in einem bestimmten Zusammenhang mit den menschlichen Verhältnissen seines Elternhauses zu stehen. Autoritär erzogene neigen offenbar mehr dazu, sich auch Autoritäten auf anderen Lebensgebieten zu unterwerfen.“ (S. 420) Nachdem er weiter auf die Rolle der Eltern eingegangen ist und u.a. die Auswirkungen fehlender mütterlicher Wärme bespricht schreibt er seinen letzten Satz: „Gerade die Verarmung des Gefühlslebens scheint aber ein spezifischer, wenn nicht der entscheidende Zug der „autoritären Persönlichkeit“ zu sein.“ (S. 421)


Donnerstag, 3. Mai 2012

Johann Benos: 20 europäische Diktatoren im Vergleich


Der apl. Professor für Psychiatrie Dr.med. Johann Benos hat 2011 ein auf den ersten Blick vielversprechendes Buch unter dem Titel: „20 europäische Diktatoren. Psychologische Hintergrunds- und Persönlichkeitsstudien“ veröffentlicht. (im AT Edition Verlag, Berlin erschienen) Die untersuchten Diktatoren sind: Antonescu, Atatürk, Dollfuß, Franco, Hitler, Horthy, Kun, Metaxas, Mussolini, Päts, Pavelić, Pilsudski, Primo de Rivera, Salazar de Oliveira, Smetona, Stalin, Szálasi, Tiso, Ulmanis und Zogu.

Der Autor hat in seinem Buch Diktatoren untersucht, die alle zur ungefähr gleichen Zeit – erste Hälfte des 20.Jahrunderts - ihr Unwesen in Europa trieben. „Auffallend war beim Lesen der Biographien der Diktatoren die Feststellung, dass sie große Ähnlichkeit aufwiesen, was mich dazu veranlasste, diese Untersuchung durchzuführen.“ (S. 10) Entsprechend war der Autor bemüht, die Gemeinsamkeiten der Akteure herauszustellen. Jeder Diktator wurde mit der gleichen Schablone untersucht:  Herkunft;  Kurzbiographie; Verhältnis zu Eltern, Verwandten, Frauen; Psychische Störungen; Psychische Vorbelastungen in der Familie; Ideologie, Brutalität  usw. In der zweiten Hälfte des Buches wurden die Ergebnisse miteinander verglichen. Kurzum: Auf den ersten Blick ist dieses Buch so angelegt, wie ich es mir nur wünschen könnte.
Das für mich wichtigste Vergleichsergebnis: „Alle Diktatoren des untersuchten Zeitraumes hatten, sofern es aussagekräftige Biographien hierzu gab, zu ihrem Vater ein schlechtes oder „gleichgültiges“ Verhältnis. (…) für die Diktatoren existierte der  Vater nicht oder sie lehnten ihn ab, weshalb er auch niemals ein Vorbild für sie sein konnte. (…) Die Diktatoren waren in der absurden Situation, ihren Vater zu leugnen. Es scheint, dass das Verhältnis zum Vater bzw. seine Ablehnung der wichtigste Parameter im Leben der Diktatoren war. “ (S.225+226) Ein für mich ein nicht wenig überraschendes Ergebnis, aber wie schön, dass dies einmal derart systematisch festgestellt wird. 

(Auch andere Vergleichsergebnisse sind interessant, z.B. dass alle Diktatoren aus dem geographischen und politischen Abseits des jeweiligen Landes, das sie später regierten, stammten und keiner in einer Großstadt geboren wurde oder dort als Kind/Jugendlicher gelebt hatte. Ich gehe in diesem Beitrag allerdings nur auf die psychohistorisch relevanten Ergebnisse ein bzw. auf das, was in dieser Studie fehlte. )

An dieser Stelle endet meine positive Kritik über das Buch. Benos ergänzt nämlich bzgl. der Väter, dass nicht die Brutalität oder Dominanz (dominante Väter sind laut seinen Recherchen in der Minderheit) der Väter der gemeinsame Nenne wäre, sondern die Ablehnung des Vaters. Bzgl. Francisco Franco, Hitler, Stalin und Mussolini habe ich hier im Blog ja bekanntlich Daten aus der Kindheit gesammelt. Benos  lag offensichtlich keine Quelle vor, die die körperliche Gewalt des Vaters gegen Francisco Franco belegte, er beschreibt den Vater rein als „streng, autoritär und emotionslos“. Die körperliche Gewalt, die Hitlers Vater ausübte, ist ja weitgehend bekannt und insofern auch von Benos erwähnt worden. Die väterliche Gewalt gegen Mussolini weist Benos auch nach. Bzgl. Stalins Vater schreibt Benos: „Er entlud seinen Frust in tätlichen Aggressionen gegen Frau und Kind.“ (S.165) Das finde ich doch sehr knapp, gerade auch vor dem Hintergrund, dass Benos laut Literaturverzeichnis Neumayrs “Diktatoren im Spiegel der Medizin“ gelesen hat, .in dem es heißt, dass Stalins Vater es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, dem kleinen Jossif seinen Eigensinn durch tägliche Prügel, jeweils vor dem Schlafengehen verabreicht, auszutreiben. Tägliche Misshandlungen sollten doch eine gesonderte Erwähnung wert sein, weil dies eine ganz andere Dimension ist, als allgemein von „tätlichen Aggressionen“ zu schreiben. 

Ergänzend möchte ich behaupten, dass viele der von Benos untersuchten Diktatoren nicht derart von einem auch über die nationalen Grenzen hinaus reichenden Interesse für Historiker, Psychologen und Sozialwissenschaftler waren und sind. Ganz im Gegenteil werden einige sogar noch immer von der eigenen Nation verehrt, wie z.B. Atatürk. Ich denke, dass die Datenlage bzgl. möglicher direkter innerfamiliärer Gewaltanwendung – neben der von ihm nachgewiesenen väterlichen Ablehnung -  entsprechend dürftig ist.
Großes Kopfschüttel löste bei mir aber viel mehr noch das Vergleichsergebnis bzgl. der Mütter aus. Benos schreibt zusammenfassend nach seiner Besprechung der Väter: „Das Verhältnis zur Mutter jedoch war bei allen immer sehr gut.“ (S. 226) Dabei muss man folgende Wörter nochmal wiederholen: „immer“ und „sehr gut“! Benos lässt in seinem Buch keinen Zweifel aufkommen: Die Mütter der Diktatoren liebten ihre Kinder innig! Seine Schilderungen über Stalins Mutter gleicht denen über die Mütter der anderen Diktatoren: Die Mutter Stalins „(…) war eine einfache ungebildete, aber sehr fromme und liebevolle Frau.“ Sie war „(…) sehr um ihren Sohn besorgt und liebte ihn sehr.“ (S. 165) Er ergänzt, dass sie für ihren Sohn einen Weg als Priester vorgesehen hatte und Stalin ihr diesen Wunsch zunächst auch erfüllte.
Man lese nun meine Rechercheergebnisse bzgl. Stalins Mutter hier. Auch sie misshandelte nachweisbar ihren Sohn (was ich in gleich drei Quellen fand!), schützte ihn nicht vor den Schlägen des Vaters und zwang ihn  in eine Ausbildung als Priester, während der er weitere schwere Demütigungen und Verletzungen erlitt. Stalin nahm später nicht einmal an ihrer Beerdigung  teil.
Dass Francisco Franco von seiner Mutter als Trostpflaster missbraucht wurde und dies auf Kosten seiner emotionalen Entwicklung ging, habe ich ebenso im Grundlagentext beschrieben. Bei Benos ließt sich das so: „Sie liebte ihren Sohn abgöttisch und bemutterte ihn am meisten von allen Kindern, weil sie glaubte, er leide ganz besonders unter der familiären Situation. Sie spornte ihn auch an, etwas Besseres zu werden als sein Vater.  Francisco Franco liebte seine Mutter und besuchte sie, so oft er konnte.“ (S. 35) Dabei stecken bereits in den Schilderungen von Benos deutlich Anzeichen für ein „Zuviel“ an Mutter, für eine „Muttersöhnchenbindung“, die letztlich nichts anderes ist, als emotionaler Missbrauch. Ähnliches schreibt Benos über Hitlers Mutter: „Sie liebte ihn abgöttisch und bemutterte ihn. Auch Adolf liebte sie übermäßig (…)“ (S. 42) Hitler, der in den Augen der Medusa nach eigenen Worten die Augen seiner Mutter  wiedererkannte und dessen gestörte Mutterbeziehung nachvollziehbar u.a. von Arno Gruen beschrieben wurde, erlebte ganz offensichtlich ebenfalls emotionalen Missbrauch durch die Mutter. Auch sie schützte ihren Sohn nicht vor der väterlichen Gewalt (und egal woran dies lag, hinterlässt dies bei einem Kind seine Wirkung auch in Bezug zur Mutter). 

Merkwürdig ist, dass Benos als Psychiater seine Ergebnisse bzgl. der angeblich liebevollen Mütter  in Anbetracht eines weiteren Vergleichsergebnisses nicht kritisch hinterfragte: „Ein normales Verhältnis zu Frauen und gewiss auch zu der eigenen Ehefrau hatte keiner der Diktatoren (…). Die meisten von ihnen sahen Frauen lediglich als Lustobjekt und schätzten sie nur gering. Zu einer gefühlsmäßigen Bindung waren sie auf Grund ihrer Persönlichkeit (Narzissmus) nicht fähig (…). Ehen und Partnerschaften entstanden nur, weil die Diktatoren eine Stütze brauchten. (…) Trotz aller Anstriche einer frauenfreundlichen Politik blieben die Regime, weil die Diktatoren dies nicht anders wollten, antifeministisch.“ (S. 228- 231)
Verhalten sich so Söhne, die von ihren Müttern wirklich geliebt und gut behandelt wurden? Benos wies ja auch nach, dass die Väter sowohl emotional als auch oft real abwesend waren und nicht als Vorbild zur Verfügung standen. Das bedeutet, dass die Diktatoren während der Kindheit hauptsächlich durch ihre Mütter erzogen und begleitet worden sind. Wären ihre Taten und auch ihre Einstellungen gegenüber Frauen möglich gewesen, wenn der anwesende Elternteil sie mit echter Liebe überschüttet hätte? Nach allem was ich gelesen habe und selbst als Mensch über das Menschsein fühle kann ich nur sagen: Nein, dies wäre nicht möglich gewesen! 

Dazu kommt, dass alle Diktatoren Ende des 19. Jahrhunderts geboren wurden, einer Zeit also, in der das Prügeln und Demütigen von Kindern zu Hause und auch in der Schule Sitte und Norm war. Die meisten Gewaltstudien kommen zu dem Ergebnis, dass Mütter gleich viel oder meist sogar noch öfter als Täterinnen bzgl. körperlicher Gewalt gegenüber ihren Kindern auftreten als die Väter. Aktuell habe ich ja z.B. die Studie von Hävernick vorgestellt, die ein hohes Ausmaß an Gewalt gegen Kinder in Deutschland für die Jahre 1910 bis Anfang der 60er Jahre festgestellt hat. Mütter waren in über 60 % der Fälle die Täterinnen.
Benos hat nun ganze 20 Diktatoren analysiert und meint, dass keine einzige Mutter eine Täterin an ihrem Kind war, sondern alle liebevoll mit ihren Söhnen umgingen!? Die Wahrscheinlichkeit, dass dies stimmt, tendiert bereits gegen Null, wenn man sich alleine nur mit sozialwissenschaftlichen Gewaltstudien und der historischen Kindererziehung befasst. Benos hängt ganz offensichtlichem einem tief in unserer Gesellschaft verwurzeltem idealisierendem Mutterbild nach, das so nicht real ist. (Über dieses Mutterbild und das Nicht-sehen-wollen weiblicher Täterschaft werde ich noch einen gesonderten Beitrag schreiben). 

Ansonsten bestätigen Benos Vergleichsergebnisse vieles von dem, was man sich so allgemein über Diktatoren denken kann: Sie waren kontaktarm und menschenscheu; Menschen gegenüber waren sie misstrauisch und ängstlich; sie waren sowohl in der Politik als auch sozial Außenseiter; sie waren gute Schauspieler und konnten gut reden; bei allen Diktatoren fand Benos paranoide Tendenzen und wahnhafte Ideen; alle Diktatoren waren Narzissten; alle zeigten depressive Tendenzen; alle verfügten über eine hohe rationale Intelligenz aber: „Die Diktatoren hatten einen Defekt im emotionalen Bereich.“ (S. 256) Mit ihren eigenen Gefühlen konnten sie nur schlecht umgehen; im Bereich der Empathie „waren sie gar emotional Schwachsinnige.“ (S. 258) Als Folge der fehlenden Empathie waren sie auch im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen „emotionale Krüppel“ (S. 259)
Und all dies  - ich wiederhole mich – trotz einer liebevollen Mutter? Ich denke, dass dieser blinde Fleck das Hauptmanko des Buches darstellt. Hätte Benos diesen Punkt richtig ausgeleuchtet und kommentiert, das Buch wäre wirklich eine hervorragende Grundanalyse über die Psyche der Diktatoren, als auch bzgl. der Gemeinsamkeiten in der Kindheit. 

Dabei hat Benos in der Tat einen gewichtigen gemeinsamem Nenner gefunden. Er beschreibt die „liebevollen Mütter“, gut, das habe ich hinreichend kritisiert. Aber er schreibt auch, dass alle Mütter ihre Söhne verhätschelt hätten, sie bemutterten, die Söhne waren ihre Lieblinge, „außerdem spornten sie die Mütter zu „Höherem“ an und bestärkten sie sogar in der Ablehnung des Vaters. Diese Tatsache fiel vor allem bei den berüchtigtsten der Diktatoren auf. Je mehr die Mutter sie verhätschelte und anspornte, desto narzisstischer und neurotischer, aber auch brutaler wurden sie in der Verfolgung ihrer Ziele.“ (S. 226) Da ich „Verhätscheln“ und eine „Muttersöhnchenbindung“ nicht als Liebe sehe, sondern als das genaue Gegenteil oder um es klar zu sagen, als emotionalen Missbrauch, verwundert es nicht, dass die Schädigungen dort am meisten auftraten, wo emotional auch am stärksten  missbraucht wurde. Volker Elis Pilgram schrieb in seinem Buch „Muttersöhne“ passend: „Der Mangel an Liebe versteckt sich am allermeisten hinter übertriebener Fürsorge.“ und „Muttersöhne haben eine Phantomseele. Sie sind mit Fleisch und Blut erwachsen da, aber ein seelischer Zusammenhang fehlt ihnen.“ Der Misch aus destruktiven, abwesenden und ablehnenden Vater, anwesender, überfürsorglicher und emotional missbrauchender Mutter, gepaart mit wahrscheinlich (wie oben besprochen) in sicher nicht wenigen Fällen auch körperlicher mütterlicher Gewalt (nachweisbar z.B. bei Stalin) und dem gleichzeitigem mütterlichem Idealisieren des Sohnes, der für Großes vorgesehen ist und all das erreichen soll, was der Mutter verwehrt bleibt, macht meiner Meinung nach den potentiellen Diktator aus. 

Benos kritisiert  im Schlussteil unter der Überschrift „Diktatorenprophylaxe“ dagegen sogar die Auffassung von dem Psychoanalytiker Hans Strotzka, der auf „vernünftige“ Erziehung setzt, „mithin auf die Vermeidung der Diktatorenerzeugung durch eine Erziehung, die Wärme und Vertrauen vermittelt und Fehlentwicklungen vorbeugt.“ (S. 266) Und er hängt an: “Eine Utopie, denn die meisten Kinder werden trotz dieser Aufforderung der Psychologen und Pädagogen weiterhin nicht auf „vernünftige“ Weise erzogen.“ Damit ist das Thema für ihn beendet und er macht es sich hier sehr einfach.

Kurzum, das Buch an sich bestätigt systematisch, wie wichtig Kindheitserfahrungen bzgl. destruktiver politischer Entwicklungen waren und sind, dabei blendet der Autor mütterliche Destruktivität komplett aus und sieht keine Möglichkeiten, die Kindererziehung gezielt zu verbessern. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass Menschen, die auf dem psychologischen Gebiet tätig sind, trotz aller vorliegenden Erkenntnisse an den Dingen vorbeischreiben können. Aber, man gewöhnt sich fast schon daran... Letztlich ist das Buch trotz allem eine nützliche Arbeitsgrundlage für mich und diesen Blog.