Mittwoch, 11. November 2009

Krieg als Reinigungsritual für unsere traumatischen Erfahrungen

LLoyd deMause hat immer wieder darauf hingewiesen, wie "Wachstumspanik" Kriege verursachen kann. Dazu habe ich hier etwas geschrieben (etwas weiter unten im Text). Die Aufgabe von Führern ist es laut dieser These, eine Gruppe durch Kriege und Opfer von ihrem "sündigen Wohlstand" zu befreien. Diese Angst vor Wohlstand und Wachstum hängt direkt mit traumatischen Kindheitserfahrungen zusammen (da das Wachstum der Kinder mit Gewalt unterbunden wurde). Kriege sind Wiederaufführungen dieser Kindheitstraumata, mit anderen als Opfern, als man es selbst einst als Kind war. Die Kriegsopfer dienen als „emotionale Sündenböcke“ und „Giftcontainer“. In der Analyse von Gruppenfantasien ist dabei z.B. immer wieder ein Schlüsselwort "Reinigen". (Auf Gruppenfantasien werde ich in diesem Blog noch weiter eingehen.)
Als ich mich das erste mal mit Gruppenfantasien und deren Deutung durch die Analyse von politischen Cartoons, Titelbildern, wörtlichen Bildern usw. in den Medien beschäftigte, fand ich das ganze erst mal komisch und etwas abgehoben. Als ich dann die Sichtweise der Psychohistoriker besser verstanden und deren Sprache für mich übersetzt hatte, fand ich vieles einleuchtend. Mehr noch: Ich bin richtig erschrocken darüber, wie oft mir im Alltag, in Zeitungsberichten usw. Bilder auffallen, die ich früher gar nicht besonders beachtet hätte und die verdeckt eine Sprache für Gruppenfantasien und traumatische Kindheitserfahrungen sind.

Ein aktuelles Beispiel:

Afghanische Militärs berichten, dass die Initiative für einen Einsatz (der bislang größten und härtesten Offensive in der deutschen Zone Afghanistans mit ca. 133 Toten) von einem US-Major ausging, der die Aktivitäten der US-Spezialkräfte im Norden des Landes koordiniert. Er sei auf die Führung des in Kunduz stationierten einheimischen Militärs zugekommen und habe eine "Reinigungsoperation" in Gul Tepa vorgeschlagen, das als Rückzugsgebiet der Taliban bekannt ist. Der örtliche Gouverneur Omar reagierte euphorisch und mit Freude auf diesen „großen Erfolg“, und den „ersten richtigen Schlag gegen die Taliban“. Endlich habe man dem Feind einmal gezeigt, wie ein Einsatz aussieht. (vgl. SPIEGEL-Online, 08.11.2009, "US-Militär startet brachiale Taliban-Jagd in Kunduz")
Dieses Bedürfnis nach einem „Reinigungsritual“ zeigt oben benannte Verstrickungen auf! (Je öfter ich diese Schlüsselwörter im Zusammenhang von Krieg wahrnehme, desto weniger absurd erscheinen mir einige mutige Thesen von deMause.
"Reinigt" sich also die westliche Allianz mit ihren aktuellen Auslandseinsätzen von ihrem "sündigen Wachstum"? Neben dem o.g. SPIEGEl Artikel tauchte eine Liste aller bisher getöteten deutschen Soldaten auf, inkl. Bild der Soldaten und Art des Todes. Zusätzlich leiern die Medien täglich Nachrichten über Art und Weise von Anschlägen in den Einsatzgebieten und Anzahl der Toten runter. Welche Emotionen und Bedürfnisse werden hier beim daheimgebliebenen Volk befriedigt? Und warum fand gerade in diesen Zeiten eine der größten Wirschaftskrisen statt, die die Welt bisher gesehen hat und die Wachstum und Wohlstand rapide reduzierte? Die ökonomische "Lebensmittelkrise" im Jahr 2008, während der die Preise enorm stiegen, wird eine hohe Anzahl von Leben in Entwicklungsländern gekostet haben. War auch dies ein Prozess, der mit dem Bedürfnis, Menschen zu opfern, zusammenhängt? Das scheinen mir Dinge zu sein, die zusammengehören und weiterer Beobachtung bedürfen.)

Und dann fand ich zufällig einen anderen Text:
Thomas Mann schrieb einst mit Bezug zum 1. Weltkrieg: „Wie hätte der Künstler, der Soldat im Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte? Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden und eine ungeheure Hoffnung.
Max Weber, der Stammvater der Soziologie, äußert am Kriegsbeginn: „Dieser Krieg ist bei aller Scheußlichkeit doch groß und wunderbar, es lohnt sich ihn zu erleben.“ (Kriegstraumata und Faschismus – Zur Genese von Hitlers Vernichtungsantisemitismus von Gerhard Vinnai)

Bedürfnisse nach Reinigung und Freude ja geradezu Glücksgefühle, wenn ein Krieg beginnt, dies spricht für die emotionalen Ursachen von Kriegen (siehe auch meinen Beitrag "Krieg der Kindergangs"). Diese Gefühle und Äußerungen tauchen im Zusammenhang von Kriegen immer wieder auf (werden von der Sozialwissenschaft aber systematisch übersehen), wenn man sich mit Medienbildern und Aussagen von Menschen beschäftigt. Wahrlich erschreckend, aber nun mal Realität.

Als Schlussbemerkung möchte ich erwähnen, dass viele Kriegstheoretiker gerade aus der Sozialwissenschaft ihre Theorien u.a. auf Grundlage von Max Weber erstellen. ( Ich erinnere mich z.B. an einen längeren Emailaustausch mit einem Politologen, der meinen Grundlagentext kritisierte. Er schlug mir – neben anderen Autoren - vor, auch Max Weber zu lesen, damit ich verstehen würde, dass meine Annahmen für die Analyse von Kriegen keinen Sinn machen würden) Nun kenne ich einiges von Max Weber und fand ihn auch interessant und berechtigt. Dass er aber auch blind gegenüber tieferen, emotionalen Prozessen sein musste, wird an Hand des obigen Zitats deutlich. Auch Weber musste mit der Macht bzw. mit den Aggressoren identifiziert sein (und Gewalt als Kind erlebt haben), wenn er Krieg als eine Freude empfand. Eine Bearbeitung des Themas in andere Richtungen ist vom Machtidentifizierten kaum zu erwarten, denn dieser flieht oftmals vor Erinnerungen an kindliche Gewalterfahrungen und entsprechenden Emotionen, anstatt sich mit ihnen zu konfrontieren und sie zu verarbeiten.

2 Kommentare:

Michael Thomas Kumpmann hat gesagt…

Zum Thema "Freude am Zusammenbruch der Ordnung" empfehle ich auch mal die Psychoanalytiker Deleuze und Guattari. Die unterschieden 3 Typen von Wahn. Inaktiven Wahn, Wahnsinn der sich vor der Außenwelt fürchtet und deshalb eine rigide Ordnung erstellen will, und ein chaotischer Wahn, der die Ordnung niederbrennen will.

Im Allgemeinen:
Das Problem ist, je "sicherer" und "friedlicher" eine Ordnung ist, umso mehr schränkt sie den Menschen auch ein. Die moderne Vorstellung eines sicheren Lebens läuft meist darauf hinaus, dass ein Mensch auch tag aus tag ein immer auf dieselbe Weise das exakt selbe macht. Und es keine Veränderung im Negativen, aber auch keine Veränderung zum Positiven gibt. (Und Focault hat zurecht gesagt, dass im 19. Jahrhundert die Arbeitswelt sehr dem Prinzip eines Knasts entsprach. Natürlich gilt das heute dank Computertechnik nicht mehr so sehr.)

Deshalb: So abartig das auch klingen mag. Je nachdem, wie ein Vorkriegsleben aussah, kann ein Kriegsausbruch oder eine Naturkatastrophe oder eine ähnliche Form des Zusammenbruchs der Ordnung auch wirklich eine Befreiung sein.

Das Gefühl der Befreiung ist deshalb nicht unbedingt immer nur eingebildet. Für manche Leute kann das auch eine ganz reale Grundlage haben.

Natürlich muss aber auch gesagt werden, dass für das normale Volk ein Ausnahmezustand eine massive Einschränkung der eigenen Freiheit ist. In gewisser Weise ist während eines Krieges der Frontsoldat auch in einer priviligierten Stellung zum Rest des Volks.

Michael Thomas Kumpmann hat gesagt…

Zum Thema der "Giftcontainer": Das würde übrigens sehr gut erklären, warum das Thema Trauma in der Politik meist auf sehr fragwürdige Weise benutzt wird. Meistens, wenn ich was zu Trauma in der Politik hörte, ging es vor Allem darum, deiner Feindgruppe die Traumata anzulasten und zu sagen, die Politik solle diese Leute bitte bestrafen. (Selbst wenn diese offensichtlich nichts damit zu tun haben.)