Samstag, 14. November 2009

Goldhagens "Schlimmer als Krieg"

Kürzlich erschien das Buch „Schlimmer als Krieg: Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist“ von Daniel Jonah Goldhagen. Das Buch findet derzeit viel Aufmerksamkeit.

Ich möchte etwas zu dem Buch schreiben, übrigens ohne es gelesen zu haben. Ich halte mich dabei an einige Rezensionen und an Interviews mit Goldhagen, um dann einige Dinge herauszustellen und zu kritisieren. Denn mir geht es nicht wirklich um dieses Buch, sondern um die Bearbeitung von so etwas wie Krieg und Massenmord, die oftmals ohne den Blick auf die Psychohistorie und die Bedeutung von Kindheitserfahrungen und Emotionen erfolgt.

Zunächst einige wesentliche Aussagen von Goldhagen:

„Goldhagen kommt zu dem Ergebnis, dass Völkermorde nicht etwa Massenhysterie sind und auch keineswegs spontan und unkontrolliert entstehen. Völkermorde sind immer das Ergebnis bewusster Entscheidungen. Politische Führer beschließen, dass Töten vieler Menschen erforderlich ist und schaffen das Klima, diese Entscheidung umzusetzen. Ein solches Klima zu schaffen, das bedeutet zum Beispiel, den Opfern das Mensch-Sein abzusprechen und sie als Bedrohung darzustellen. Ganz normale Bürger machen dann willentlich mit und töten ihre Nachbarn. Und die, die das Töten verhindern könnten, entscheiden sich, nichts zu tun, wegzuschauen.“
http://daserste.ndr.de/reportageunddokumentation/voelkermord100.html

"Massenmord und Genozid beginnen in Gesellschaften, weil Machthaber die Entscheidung treffen zu einer eliminatorischen Politik, um ihre Ziele zu verfolgen", sagt der Historiker.
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4837132,00.html

Völkermord ist niemals ein spontaner, nicht kontrollierbarer Ausbruch von Hass, sondern immer von einigen wenigen Politikern geplant, vorbereitet und gesteuert. Völkermord hat immer ein politisches Ziel. Völkermord geschieht immer mit persönlicher Leidenschaft, aus eigenem Hass und weit mehr Grausamkeit, als zur Tötung eigentlich geboten wäre. Goldhagen verneint einen anonymen Prozess des Mordens, er nennt Mord Handarbeit und betont die Notwendigkeit der individuellen Entscheidung dazu für jeden Täter.
http://community.zeit.de/user/damevonwelt/beitrag/2009/10/19/schlimmer-als-krieg

Fast alle modernen Völkermorde, schreibt Goldhagen, würden von den Führern anti-demokratischer Regime in Gang gesetzt - mit dem klaren Ziel, bestimmte ethnische, politische oder religiöse Gruppen zu vernichten. Und fast alle Vernichtungsprogramme würden von einer bereitwilligen Bevölkerung eifrig ausgeführt. (…) Völkermord ist keine von Gott gesandte Geißel, auch keine irrationale Eruption eines anthropologisch verwurzelten Hasses, sondern ein politisches Programm - gespeist und angetrieben von sorgsam gezüchteten Ressentiments.
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/andruck/1053692/

Die Entscheidung zur Elimination „geht aus dem Willen zu töten und aus dem Prozess hervor, der diesen Willen in einen festen Entschluss verwandelt, die Tat auch auszuführen. Er ist daher die hinreichende Erklärung dafür, warum diese Menschen Massenmord begehen und zu Eliminierungsmaßnahmen greifen.“
http://www.zeit.de/2009/43/L-P-Goldhagen

Völkermorde werden von politischen Führern – einer kleinen Gruppe von Leuten – aufgrund einer bewussten Entscheidung in einem klar erkennbaren Moment entfesselt. Der Genozid ist ebenso wie der Krieg eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Es geht also darum, die Entscheidung zum Völkermord für politische Führer sehr teuer zu machen.
http://www.welt.de/die-welt/kultur/literatur/article4957689/Bringen-wir-die-Dikatoren-um-den-Schlaf.html


Goldhagens Sicht auf die Ursachen von Massenmord sind eigentlich nichts wirklich Neues. Er beschreibt die Führung, die bewusste politische Entscheidungen treffen („Fortführung der Politik mit anderen Mitteln“) würde und das willige Volk, das das Töten leidenschaftlich ausführt. Punkt.

Mir fehlt an dieser typischen Herangehensweise an das Thema die Frage nach dem tieferen Warum, nach der eigentlichen Motivation? Wo kommen all diese mörderischen Impulse her? Wieso „verschwindet“ das Mitgefühl, das doch uns Menschen ausmacht, wenn die Führer zum Morden aufrufen? Wieso wollen die Mörder ihre Opfer leiden sehen? Warum macht ihnen das Töten entweder Spaß und/oder sie fühlen einfach gar nichts dabei? Warum gibt es Menschen, die sich dem Morden entziehen, die lieber fliehen oder evtl. selbst sterben, als ihre Nachbarn zu töten? Warum nutzen die Menschen in bestimmten Regionen nicht andere Wege der Konfliktlösung als Krieg? Usw. usf.
Das scheinen Fragen zu sein, die sich Goldhagen (wie auch so viele andere HistorikerInnen) nicht wirklich zu stellen scheint (,obwohl er dies sicher anders sehen würde). Er beobachtet, stellt fest, erklärt Umstände und Entscheidungen, rationalisiert, das wars.

„Die Beweislage ist eindeutig: Die Mörder taten sehr oft mehr, als ihnen befohlen wurde, und oft wurde ihnen auch gar nichts befohlen, weil nicht einmal Aufseher da waren.“ http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-67153530.html Goldhagen sieht den Grund für dieses Handeln im Glauben der Mörder daran, dass sie im Recht sind bzw. in der Ideologie und nicht etwa im Gruppendruck. Entsprechend wichtig findet er die ideologische Sprache: „Sprache ist das Fundament des Massenmords. Was wir über die Welt wissen, über andere Volksgruppen, über Fremde, wird transportiert über Rede, Worte, Sprache eben. Massenmorde werden von Menschen durchgeführt, die andere Menschen für Untermenschen oder für eine große Gefahr halten. Sie nutzen Sprache, um die Opfer zu entmenschlichen oder zu dämonisieren.“ (ebd.)
Diese Ansicht würde übersetzt bedeuten, dass Menschen grundsätzlich eine Art leeres Glas im Kopf haben, das man nur mit Ideologie füllen braucht, um dann – sofern nicht eine funktionierende Demokratie und das Gewaltmonopol das ganze unterbinden – das Morden zu ermöglichen. Eine Beobachtung, die im Prinzip z.B. auch ein Arno Gruen teilt, wenn er in seinen Arbeiten die „Nicht-Identität“ oder das „falsche Selbst“ von Menschen beschreibt. Und auch ein Lloyd deMause beschreibt die Bedeutung von Sprache und Reden, mit Hilfe derer die Massen mobilisiert werden. Beide letzt genannten beschreiben aber auch die tieferen Ursprünge. Warum haben viele Menschen keine feste Identität sondern sind zersplittert? Warum lassen sich Menschen durch ihre Führer in „soziale Trance“ versetzen? Traumatische Erfahrungen in der Kindheit sind die Antworten. Kaum ein Historiker stellt überhaupt die richtigen Fragen, um eine Antwort in diese Richtung überhaupt zu ermöglichen. Schon erstaunlich. Letztlich wird die Analyse dadurch selbst entmenschlicht, da Menschen als Maschinen betrachtet werden, nicht als menschliche Wesen mit Gefühlen oder eben auch ausgelöschten Gefühlen.
Das Bild vom "leeren Glas" ist - das ist mir hier noch mal wichtig - eigentlich nicht wirklich passend. Ich sehe die Situation - wie schon im Grundlagentext beschrieben - eher so, dass die traumatischen Kindheitserfahrungen das Dynamit in der Welt sind, das unter bestimmten Umständen durch Zündfunken (meinetwegen auch so etwas wie eine gezielte Verbreitung von einer Ideologie) zur Explosion gebracht werden kann.


Das besondere an Goldhagens Recherchen ist allerdings, dass er sich auch an die Orte des Grauens begeben hat, dass er mit Opfern und Tätern sprach, Massengräber besuchte, an der Exhumierung von Toten teilnahm usw. "Leute in Stücke hacken ist leichter, als einen Baum fällen", erzählt der Mörder Elie Ngarambe in einer ruandischen Strafkolonie dem Autor Goldhagen, "man hackt mit der Machete, der Mensch fällt hin, man hackt weiter, er ist in Stücken, und man geht weiter." (http://daserste.ndr.de/reportageunddokumentation/voelkermord100.html)
Solche Aussagen direkt von dem Mörder zu bekommen, scheinen bei Goldhagen auch keine Fragen nach tieferen Ursachen aufgeworfen zu haben. Menschen leben nicht in einer Demokratie, die Führer zetteln Massenmord an, die Menschen führen diesen aus, fertig. ("Das sind Tiere, wurde uns gesagt, die müsst ihr töten, sonst töten sie euch", erzählte einer der verurteilten Mörder dem Autor Daniel Goldhagen im Interview. http://www.abendblatt.de/kultur-live/article1233880/Ein-Protest-gegen-das-Wegsehen-Daniel-Goldhagens-Film-ueber-Voelkermord.html )
Und er geht sogar noch weiter: Man solle einmal überlegen, wie es wäre, "einen Mann eigenhändig zu töten, abzuschlachten, mit der Machete zu zerhacken. Oder eine Frau. Oder ein Kind. Sie schlagen zu. Schlagen noch einmal zu. Schlagen wieder und wieder auf ihn ein. Stellen Sie sich vor, Sie hören, wie der Mensch, den Sie gerade umbringen, bettelt, um Gnade fleht, um sein Leben. Stellen Sie sich vor, Sie hören die Schreie Ihres Opfers, während Sie auf es einschlagen, es ,zerschlitzen', wieder auf es einhacken und immer wieder, oder die Schreie eines Jungen, wenn Sie auf seinen achtjährigen Leib einhacken". Menschen täten so etwas nur, folgert Goldhagen, wenn sie es wollten, keinerlei Strafverfolgung fürchteten und staatliche Führer dies anordneten. (vgl. http://www.taz.de/1/debatte/theorie/artikel/1/das-einmaleins-der-genozide) Und wieder ein Punkt.

???????? So viele Fragezeichen, wie mir hier kommen, kann ich gar nicht aufschreiben. Es ist fast schon ein Wunder, wenn man sich nicht die Frage stellt, ob dieser Mensch, der ohne weiteres „Leute in Stücke hacken kann“ nicht eine schwere emotionale Störung hat. (Bei kriminellen Einzeltätern wird diese Sicht nicht so sehr abgewehrt, wohl aber, wenn aus Einzelnen Massen werden) Und dann müsste man fragen: Wie ist diese Störung eigentlich entstanden? Und da es sich um Massenmord handelt, was ist mit all den anderen? Wie sieht denn der Alltag in Ruanda aus? Was bedeutet Kindheit in diesem Land? Was für sonstige Traumatisierungen erlebt der Bevölkerungsdurchschnitt? Was führte zu einer so gewaltigen Gruppenfantasie, die ihren Weg schließlich in die grausame Realität des Massenmordes fand?

Was u.a. daran hindert, hier weiter nachzuschauen, ist die mögliche Erkenntnis, dass ganze Bevölkerungsteile unter emotionalen Störungen auf Grund erlittener Gewalterfahrungen in der Kindheit leiden können. Diese Störungen haben viele im Alltag „im Griff“ und fallen dadurch – auch den Historikern - nicht unbedingt auf. So etwas wie Krieg und Massenmord ist schließlich geradezu ein Aufruf an die Menschen, ihre Kontrolle fallen zu lassen und außer Kontrolle zu geraten.
Nochmal Goldhagen: Die Mörder „ lachen, sie verhöhnen ihre Opfer. Die Überlebenden erzählen wieder und wieder von der Fröhlichkeit der Mörder. Das scheint ein universelles Kennzeichen aller Genozide zu sein, ebenso wie die Grausamkeit. Die Mörder wollen ihre Opfer leiden sehen.“ (http://www.morgenpost.de/politik/article1194974/Der-politische-Islam-hat-eine-totalitaere-Vision.html)
Eine deutlichere emotionale Motivation kann man gar nicht vor Augen bekommen! Trotzdem spielen Emotionen keine Rolle, verweist Goldhagen auf die Rationalität des Massenmordes, der gerade auf Grund dieser Rationalität vorhersehbar sei und man hier präventiv rechtzeitig agieren müsse. Unverständlich ist auch, dass Goldhagen den Massenmord rein von Oben beleuchtet. Politische Führer würden diesen anzetteln, erst dann führe das Volk diesen aus. Dabei kommt er doch selbst zu dem Schluss, „Völkermord geschieht immer mit persönlicher Leidenschaft, aus eigenem Hass und weit mehr Grausamkeit, als zur Tötung eigentlich geboten wäre.“ Die Psychhistorie sieht es genau anders herum: Die Menschen, das Volk bilden gemeinsame Gruppenfantasien (abhängig von dominierenden Erziehungsstilen) aus, die dann von ihren Führer in die Realität umgesetzt werden. Die Führer sind nach diesem Verständnis emotional Delegierte, die die (unterbewussten) Stimmungen im Land erfassen und ausführen (müssen). Krieg und Massenmord entspringt nach dieser These also im Grunde immer vom Volk selbst.
„Es geht um ein breiteres politisches Phänomen, den Wunsch von politischen Führern, sich Gruppen zu entledigen, die sie hassen, fürchten oder als Hindernis für ihre Ziele betrachten. Dazu wenden sie verschiedene Mittel an: Zwangsübertritte, Verhinderung von Fortpflanzung, das Einsperren in Lagern, Vertreibung und schließlich Massenmord. Der Genozid ist nur ein Instrument in diesem Repertoire, und wann immer er geschieht, werden auch die anderen Methoden angewandt. Das Motiv ist, Menschen zu eliminieren. Das Töten ist bloß ein technisches Mittel. (…) Was wir ändern können, ist, die Kosten-Nutzen-Rechnung von potenziellen Völkermördern zu verändern. Diese Leute sind nicht verrückt, sonst wären sie nicht dort, wo sie sind, sondern sie kalkulieren kühl. Sie müssen wissen, dass sich eine eliminatorische Politik nicht auszahlt, dass sie einen hohen Preis bezahlen werden.“ (http://derstandard.at/fs/1256743529820/STANDARD-Interview-Die-Uno-schuetzt-genozidale-Moerder)
„Das Motiv ist, Menschen zu eliminieren“ Die Handlung an sich wird zum Motiv…? Eine solche Aussage wirkt geradezu naiv.
Unter „verrückt“ versteht Goldhagen wohl jemanden, der nicht in der Lage wäre, Führer eines Volkes zu sein. Auch diese Sicht ist klassisch. Wenn ich von „emotionalen Störungen“ schreibe, dann meine ich nicht Menschen, die „grüne Wesen“ sehen, nicht richtig sprechen können, verwirrt sind, sich gegen den Kopf schlagen usw. Diese sind die Ausnahme. Normalerweise können Menschen – trotz schwerer traumatischer Erfahrungen – im Alltag einigermaßen und scheinbar normal funktionieren. Was ist so schwer daran, Führer und Volk, die Massenmord ausüben, als „gestört“ zu analysieren? Wissen wir doch grundsätzlich auch um die Menschlichkeit, die Mitleidensfähigkeit, das Glücklichsein und die Beziehungsfähigkeit von Menschen. Es gibt diese Fähigkeit von Menschen, Kriege aus einem starken inneren Gefühl heraus abzulehnen. Alleine schon, weil es diese „gesunden“ Menschen gibt, kann man auch die Kriegsführenden als „gestört“ ansehen.

Goldhagen fordert in seinem Buch schließlich absurde Dinge, um das Morden in den Griff zu bekommen. Nämlich: Ganz einfach Morden, bis das Morden aufhört… („Die Streitkräfte der sudanesischen Regierung sollten bombardiert werden. Ganz einfach. Solange bis sie mit den Übergriffen auf die Bevölkerung in Darfur aufhören.“ http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4837132,00.html, „Sie müssen wissen, dass sie beobachtet, verfolgt, bestraft und unter Umständen selbst getötet werden, sollten sie zu Tätern werden.“ http://www.randomhouse.de/webarticle/webarticle.jsp?aid=18954 oder er fordert Kopfgelder auf die führenden Kräfte des Massenmordes) Dies muss nicht weiter kommentiert werden. Wer so denkt, macht deutlich, dass er für ein tieferes Verstehen von Kriegen nicht offen ist.

Und wieder einmal geht es mir darum, an die klasssichen KriegsusrachenforscherInnen zu appellieren: Vergesst nicht, dass wir Menschen sind, wir haben eine Psyche, Emotionen (inkl. der Fähigkeit, diese unter bestimmten Vorbedingungen abzuspalten) und so etwas wie ein Unterbewusstsein. Ohne die Analyse um diese Dinge zu ergänzen, wird Krieg nicht komplex zu erklären sein.

Mittwoch, 11. November 2009

Krieg als Reinigungsritual für unsere traumatischen Erfahrungen

LLoyd deMause hat immer wieder darauf hingewiesen, wie "Wachstumspanik" Kriege verursachen kann. Dazu habe ich hier etwas geschrieben (etwas weiter unten im Text). Die Aufgabe von Führern ist es laut dieser These, eine Gruppe durch Kriege und Opfer von ihrem "sündigen Wohlstand" zu befreien. Diese Angst vor Wohlstand und Wachstum hängt direkt mit traumatischen Kindheitserfahrungen zusammen (da das Wachstum der Kinder mit Gewalt unterbunden wurde). Kriege sind Wiederaufführungen dieser Kindheitstraumata, mit anderen als Opfern, als man es selbst einst als Kind war. Die Kriegsopfer dienen als „emotionale Sündenböcke“ und „Giftcontainer“. In der Analyse von Gruppenfantasien ist dabei z.B. immer wieder ein Schlüsselwort "Reinigen". (Auf Gruppenfantasien werde ich in diesem Blog noch weiter eingehen.)
Als ich mich das erste mal mit Gruppenfantasien und deren Deutung durch die Analyse von politischen Cartoons, Titelbildern, wörtlichen Bildern usw. in den Medien beschäftigte, fand ich das ganze erst mal komisch und etwas abgehoben. Als ich dann die Sichtweise der Psychohistoriker besser verstanden und deren Sprache für mich übersetzt hatte, fand ich vieles einleuchtend. Mehr noch: Ich bin richtig erschrocken darüber, wie oft mir im Alltag, in Zeitungsberichten usw. Bilder auffallen, die ich früher gar nicht besonders beachtet hätte und die verdeckt eine Sprache für Gruppenfantasien und traumatische Kindheitserfahrungen sind.

Ein aktuelles Beispiel:

Afghanische Militärs berichten, dass die Initiative für einen Einsatz (der bislang größten und härtesten Offensive in der deutschen Zone Afghanistans mit ca. 133 Toten) von einem US-Major ausging, der die Aktivitäten der US-Spezialkräfte im Norden des Landes koordiniert. Er sei auf die Führung des in Kunduz stationierten einheimischen Militärs zugekommen und habe eine "Reinigungsoperation" in Gul Tepa vorgeschlagen, das als Rückzugsgebiet der Taliban bekannt ist. Der örtliche Gouverneur Omar reagierte euphorisch und mit Freude auf diesen „großen Erfolg“, und den „ersten richtigen Schlag gegen die Taliban“. Endlich habe man dem Feind einmal gezeigt, wie ein Einsatz aussieht. (vgl. SPIEGEL-Online, 08.11.2009, "US-Militär startet brachiale Taliban-Jagd in Kunduz")
Dieses Bedürfnis nach einem „Reinigungsritual“ zeigt oben benannte Verstrickungen auf! (Je öfter ich diese Schlüsselwörter im Zusammenhang von Krieg wahrnehme, desto weniger absurd erscheinen mir einige mutige Thesen von deMause.
"Reinigt" sich also die westliche Allianz mit ihren aktuellen Auslandseinsätzen von ihrem "sündigen Wachstum"? Neben dem o.g. SPIEGEl Artikel tauchte eine Liste aller bisher getöteten deutschen Soldaten auf, inkl. Bild der Soldaten und Art des Todes. Zusätzlich leiern die Medien täglich Nachrichten über Art und Weise von Anschlägen in den Einsatzgebieten und Anzahl der Toten runter. Welche Emotionen und Bedürfnisse werden hier beim daheimgebliebenen Volk befriedigt? Und warum fand gerade in diesen Zeiten eine der größten Wirschaftskrisen statt, die die Welt bisher gesehen hat und die Wachstum und Wohlstand rapide reduzierte? Die ökonomische "Lebensmittelkrise" im Jahr 2008, während der die Preise enorm stiegen, wird eine hohe Anzahl von Leben in Entwicklungsländern gekostet haben. War auch dies ein Prozess, der mit dem Bedürfnis, Menschen zu opfern, zusammenhängt? Das scheinen mir Dinge zu sein, die zusammengehören und weiterer Beobachtung bedürfen.)

Und dann fand ich zufällig einen anderen Text:
Thomas Mann schrieb einst mit Bezug zum 1. Weltkrieg: „Wie hätte der Künstler, der Soldat im Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte? Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden und eine ungeheure Hoffnung.
Max Weber, der Stammvater der Soziologie, äußert am Kriegsbeginn: „Dieser Krieg ist bei aller Scheußlichkeit doch groß und wunderbar, es lohnt sich ihn zu erleben.“ (Kriegstraumata und Faschismus – Zur Genese von Hitlers Vernichtungsantisemitismus von Gerhard Vinnai)

Bedürfnisse nach Reinigung und Freude ja geradezu Glücksgefühle, wenn ein Krieg beginnt, dies spricht für die emotionalen Ursachen von Kriegen (siehe auch meinen Beitrag "Krieg der Kindergangs"). Diese Gefühle und Äußerungen tauchen im Zusammenhang von Kriegen immer wieder auf (werden von der Sozialwissenschaft aber systematisch übersehen), wenn man sich mit Medienbildern und Aussagen von Menschen beschäftigt. Wahrlich erschreckend, aber nun mal Realität.

Als Schlussbemerkung möchte ich erwähnen, dass viele Kriegstheoretiker gerade aus der Sozialwissenschaft ihre Theorien u.a. auf Grundlage von Max Weber erstellen. ( Ich erinnere mich z.B. an einen längeren Emailaustausch mit einem Politologen, der meinen Grundlagentext kritisierte. Er schlug mir – neben anderen Autoren - vor, auch Max Weber zu lesen, damit ich verstehen würde, dass meine Annahmen für die Analyse von Kriegen keinen Sinn machen würden) Nun kenne ich einiges von Max Weber und fand ihn auch interessant und berechtigt. Dass er aber auch blind gegenüber tieferen, emotionalen Prozessen sein musste, wird an Hand des obigen Zitats deutlich. Auch Weber musste mit der Macht bzw. mit den Aggressoren identifiziert sein (und Gewalt als Kind erlebt haben), wenn er Krieg als eine Freude empfand. Eine Bearbeitung des Themas in andere Richtungen ist vom Machtidentifizierten kaum zu erwarten, denn dieser flieht oftmals vor Erinnerungen an kindliche Gewalterfahrungen und entsprechenden Emotionen, anstatt sich mit ihnen zu konfrontieren und sie zu verarbeiten.

Freitag, 6. November 2009

Die Armee zeigt Dir, wer Du wirklich bist

"Die Armee zerstört dich, und dann baut sie dich wieder neu auf. Und dann erkennst du, wer du wirklich bist.", sagt ein Mitglied der US-Marines im Weltspiegel Bericht ("Freiwillige vor! Ansturm auf die Armee" vom 1. November 2009) zu seiner Freundin, um diese zu überzeugen, zur Armee zu gehen.
Diese Aussage zeugt davon, dass sie von einem Menschen ohne wirkliche innere Identität kommt. Wer von der Armee - unter einer traumatisierenden Ausbildung - gesagt bekommen muss, wer er ist, der muss innerlich zerissen und von einem Fremdsein bestimmt sein. Und in der Tat zeigt der ARD Bericht, wie derzeit insbesondere Jugendliche aus trostlosen Orten und Ghettos der USA rekrutiert werden. Ihr Leben vor der Armee war geprägt von Trostlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Gewalt und Kriminalität.

"Haben sie keine Angst, mit ihrem Leben für diese Entscheidung zu bezahlen?", fragt ein Journalist eine zukünftige Rekrutin. "Dieses Risiko nehme ich in Kauf.", sagt Dominique. "Denn hier, wo ich wohne, da kannst Du auch beim Spazierengehen erschossen werden."

Diese Leute bekommen eine "neue Identität" und eine Waffe, dann werden sie in alle möglichen Ecken der Welt geschickt, um die Freiheit der westlichen Welt zu verteidigen. Wen wunderts, dass dies nicht funktioniert.

Im Grundlagentext habe ich versucht darzustellen, wie Fürsorge und Liebe in der Kindheit Menschen (diese bilden nämlich sehr wahrscheinlich u.a. eine eigene, sichere Identität aus!) davon abhalten kann, zur Armee zu gehen bzw. wie gewaltbelastete familiäre Hintergründe und Trostlosigkeit das Fundament für das Militär ist. Dies wird erneut durch den Weltspiegelbericht bestätigt. (Nebenbei bestätigt der Bericht auch erneut die traumatisierende Ausbildung von US-Soldaten)

Donnerstag, 5. November 2009

Es herrscht Krieg - "eine Freude zu leben"

Meinen Beitrag "Krieg der Kindergangs" habe ich am Ende des Textes um folgendes ergänzt:

Sehr deutlich wird der Zusammenhang der o.g. Gedanken zur kollektiven Gewalt auch durch folgendes: Als Deutschland Frankreich 1914 den Krieg erklärte, frohlockte eine deutsche Zeitung: "Es ist eine Freude zu leben, Deutschland jubelt vor Glück." (vgl. deMause,L. 2000: Was ist Psychohistorie? Psychosozial-Verlag, Gießen, S. 133)
Nationen sind eben keine "technischen", "rationalen" Gebilde (so wie es die Sozialwissenschaft oft sieht), die für sich stehen. Sie bestehen aus Menschen, die alle eine Psyche und Emotionen haben. Wenn eine Mehrheit dieser Menschen, die eine Nation bilden, als Kind traumatische Erfahrungen machen musste, wird auch das "kollektive Glück" bei einem Kriegseintritt verständlich, so wie es auch für einzelne Mitglieder von Kindergangs und Kriminelle verständlich ist.