Dienstag, 27. Oktober 2009

Kurzer Rückblick: Erfahrungen und Erkenntnisse

Der Text über die Gewalt gegen Kinder in Entwicklungsländern hat mir erneut etwas deutlich gemacht. Seit dem Jahr 2003 recherchiere ich mal mehr mal weniger zum Thema Kriegsursachen. Es verhielt sich dabei eigentlich immer so, dass sich die Verbindungslinie zur Kindesmisshandlung immer offener zeigte, je mehr Informationen ich zusammentrug. Es ging eigentlich nie in die andere Richtung. Dabei war ich oft gar nicht all zu voreingenommen. Beispielsweise bzgl. dem Diktator Saddam Hussein vermutete ich vor meinen Recherchen zwar ein hohes Ausmaß an Gewalterfahrungen in dessen Kindheit. Was ich fand übertraf allerdings meine Erwartungen. Ähnlich ging es mir bei George W. Bush. Ich hätte damals nie damit gerechnet, dass ein J. A. Frank gleich ein ganzen Buch über die besagten Zusammenhänge über ihn schrieb: „Bush auf der Couch. Wie denkt und fühlt George W. Bush? „ In dem erhebliche traumatische Erfahrungen in seiner Kindheit aufgezeigt werden. Ein wichtiges Buch, das leider – so weit ich es wahrnehmen konnte – in der Öffentlichkeit kaum Beachtung fand.
Nie fand ich in der Kindheit von Diktatoren oder demokratischen Kriegstreibern eine Kindheit, die von Liebe, Wärme, Respekt und Freiheit bestimmt war. Immer war es das glatte Gegenteil, fand ich geschlagene und vernachlässigte Kinder, so dass es schon fast ein Wunder ist, dass da bisher so wenig hingeschaut wird.

Sehr erstaunt haben mich auch ausführliche und hintergründige Texte von Alenka Puha (z.B. dieser), die über die unglaublich lange Tradition der schweren Kindesmisshandlung und des Kindesmissbrauchs im ehemaligen Jugoslawien schrieb und die einen direkten Zusammenhang zum Bürgerkrieg zog. Wenn man die Texte gelesen hat, fällt es wirklich schwer zu sehen, dass diese Texte in der Analyse des Balkankrieges überhaupt keine Rolle in den Medien und auch der Politikwissenschaft gespielt haben. Eigentlich kaum zu fassen.

Und dann gab es immer wieder Biografen, deren Bücher ich las und die die Kindheit von Diktatoren beschönigten und/oder nicht richtig hinsahen. Ich habe das im Grundlagentext insbesondere an dem Buch über Stalin von dem Biografen Bullock festgemacht. Weitere Recherchen ergaben erneut ein Bild von einer Kindheit, in der Stalin kein helfender Zeuge zur Seite stand und in der er von beiden Elternteilen misshandelt wurde, während Bullock von einer „liebevollen Mutterbeziehung“ schrieb.

Kurz nach dem Beginn der israelischen Militäroperation „gegossenes Blei“ schrieb ich etwas über die Kindheit in Israel und die Kindheit in Palästina und versuchte dort Erklärungen für diesen Dauerkonflikt zu finden. Bzgl. Palästina hatte ich nicht viele Daten gefunden, nur Andeutungen von mittelalterlichen Erziehungspraktiken und eine Studie, die hohe Raten von sexuellem Missbrauch nachwies. In dem kürzlich erschienen UNICEF Report las ich dann, dass Palästina an der Spitze der untersuchten Länder stand: Hier erlebten nur 5 % der Kinder keine Gewalt! Erneut eine Bestätigung dafür, dass Frieden nicht möglich ist, wenn Kinder in diesem Ausmaß misshandelt werden.
(Es verwundert übrigens nicht, dass der UNICEF Report auch für Vietnam sehr hohe Gewaltraten gegen Kinder feststellte.)

Die Beispiele ließen sich fortführen.

Ich bin an einem Punkt, wo eigentlich weitere Forschung beginnen müsste. Forschung über die Lücken. Dafür bin ich allerdings weder ausgebildet noch habe ich Zeit und Möglichkeiten dafür. Ich denke an eine ausführliche Analyse dessen, was Kindheit in Ländern wie z.B. Ruanda, Sudan, Kambodscha, Kongo usw. bedeutete, bevor das Blutvergießen begann. Ich bin mir sicher, dass man hier mit einem geschulten Auge schnell fündig werden würde. Und umgekehrt wird man in Ländern, die einen komplexes soziales Netz entwickelt haben, die für friedlichen ökonomischen und kulturellen Austausch und für dauerhaften Frieden stehen, sehr wahrscheinlich eine Bevölkerungsstruktur vorfinden, in der keine Mehrheit schwer misshandelt und missbraucht wurde.

Dabei ist es nur eine menschliche Logik, dass Gewaltverhalten gerade auch in Form von Krieg einen tieferen (emotionalen) Hintergrund haben muss. Man braucht nicht unzählige Studien, um dies nachzuweisen. Jedem klar fühlenden und denkenden Menschen muss im Grunde bewusst sein, dass z.B. eine ökonomische Krise nicht in erster Linie für so etwas wie den Holocaust verantwortlich sein kann. Wenn ich aber Morgen in aller Öffentlichkeit losgehen würde und rufe: „Die extreme Gewalt gegen Kinder hat in der deutschen Geschichte für Leid gesorgt, insbesondere entstanden dadurch Kriege und Massenmord!“ Dann werde ich wohl i.d.R. für verrückt erklärt werden. Laufe ich los und rufe: „Die Wirtschaftskrise war schuld an all dem!“ dann wird keiner ein Problem haben. Es ist schon verrückt…

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