Dienstag, 9. Dezember 2008

Astrid Lindgrens Position: "Niemals Gewalt"

Per Zufall fand ich einen Artikel in der Berliner Zeitung, in dem Astrid Lindgrens Position zu dem hier im Blog behandelten Thema kurz beschrieben wird.

"Im Jahre 1978 erhielt Astrid Lindgren den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Ihre Rede sorgte schon vor der Verleihung für einen Eklat, weil die Verantwortlichen nach der Lektüre des Manuskripts sagten, sie solle den Preis "kurz und gut" ohne Rede entgegennehmen. Astrid Lindgren ließ sich darauf nicht ein, drohte mit Verzicht und durfte doch noch in Frankfurt am Main sprechen. In einer Zeit, da die Diskussion um neue Waffensysteme die Öffentlichkeit beherrschte und das Wettrüsten nicht zu stoppen schien, stellte sie ihre Rede unter die Überschrift "Niemals Gewalt" "
Auszug aus dem Artikel "Kinder an die Macht" erschienen in der Berliner Zeitung vom 29.02.2002

Die komplette Rede fand ich bei der ZEIT veröffentlicht am 13.11.2007 hier . Die für mich wichtigsten Auszüge habe ich nachfolgend zusammengestellt:


"(...) Ich glaube, wir müssen von Grund auf beginnen. Bei den Kindern. Sie, meine Freunde, haben Ihren Friedenspreis einer Kinderbuchautorin verliehen, und da werden Sie kaum weite politische Ausblicke oder Vorschläge zur Lösung internationaler Probleme erwarten. Ich möchte zu Ihnen über die Kinder sprechen. Über meine Sorge um sie und meine Hoffnungen für sie. Die jetzt Kinder sind, werden ja einst die Geschäfte unserer Welt übernehmen, sofern dann noch etwas von ihr übrig ist. Sie sind es, die über Krieg und Frieden bestimmen werden und darüber, in was für einer Gesellschaft sie leben wollen. In einer, wo die Gewalt nur ständig weiterwächst, oder in einer, wo die Menschen in Frieden und Eintracht miteinander leben wollen. Gibt es auch nur die geringste Hoffnung darauf, dass die heutigen Kinder dereinst eine friedlichere Welt aufbauen werden, als wir es vermocht haben? Und warum ist uns dies trotz allen guten Willens so schlecht gelungen? (...)

In keinem neugeborenen Kind schlummert ein Samenkorn, aus dem zwangsläufig Gutes oder Böses sprießt. Ob ein Kind zu einem warmherzigen, offenen und vertrauensvollen Menschen mit Sinn für das Gemeinwohl heranwächst oder aber zu einem gefühlskalten, destruktiven, egoistischen Menschen, das entscheiden die, denen das Kind in dieser Welt anvertraut ist, je nachdem, ob sie ihm zeigen, was Liebe ist, oder aber dies nicht tun. "Überall lernt man nur von dem, den man liebt", hat Goethe einmal gesagt, und dann muss es wohl wahr sein. Ein Kind, das von seinen Eltern liebevoll behandelt wird und das seine Eltern liebt, gewinnt dadurch ein liebevolles Verhältnis zu seiner Umwelt und bewahrt diese Grundeinstellung sein Leben lang. Und das ist auch dann gut, wenn das Kind später nicht zu denen gehört, die das Schicksal der Welt lenken.
Sollte das Kind aber wider Erwarten eines Tages doch zu diesen Mächtigen gehören, dann ist es für uns alle ein Glück, wenn seine Grundhaltung durch Liebe geprägt worden ist und nicht durch Gewalt. Auch künftige Staatsmänner und Politiker werden zu Charakteren geformt, noch bevor sie das fünfte Lebensjahr erreicht haben - das ist erschreckend, aber es ist wahr. Blicken wir nun einmal zurück auf die Methoden der Kindererziehung früherer Zeiten. Ging es dabei nicht allzu häufig darum, den Willen des Kindes mit Gewalt, sei sie physischer oder psychischer Art, zu brechen? Wie viele Kinder haben ihren ersten Unterricht in Gewalt "von denen, die man liebt", nämlich von den eigenen Eltern erhalten und dieses Wissen dann der nächsten Generation weitergegeben!
Und so ging es fort. "Wer die Rute schont, verdirbt den Knaben", heißt es schon im Alten Testament, und daran haben durch die Jahrhunderte viele Väter und Mütter geglaubt. Sie haben fleißig die Rute geschwungen und das Liebe genannt. Wie aber war denn nun die Kindheit aller dieser wirklich "verdorbenen Knaben", von denen es zurzeit so viele auf der Welt gibt, dieser Diktatoren, Tyrannen und Unterdrücker, dieser Menschenschinder? Dem sollte man einmal nachgehen. Ich bin überzeugt davon, dass wir bei den meisten von ihnen auf einen tyrannischen Erzieher stoßen würden, der mit einer Rute hinter ihnen stand, ob sie nun aus Holz war oder im Demütigen, Kränken, Bloßstellen, Angstmachen bestand. In den vielen von Hass geprägten Kindheitsschilderungen der Literatur wimmelt es von solchen häuslichen Tyrannen, die ihre Kinder durch Furcht und Schrecken zu Gehorsam und Unterwerfung gezwungen und dadurch für das Leben mehr oder weniger verdorben haben. (...)"


Das ein Mensch wie Astrid Lindgren so deutlich fühlt, wo die tieferen Ursachen für die Destruktivität in der Welt zu suchen sind, verwundert eigentlich kaum. Mich persönlich hat das Lesen dieser Rede aus dem Jahr 1978 nochmal sehr motiviert bzw. mir helfen solche Aussagen von Menschen, die bei klarem Versatnd und vor allem bei gesundem Gefühl sind in meiner eigenen Wahrnehmung. Manches mal komme ich mir doch wie ein Spinner vor, der nur übertreibt. Zu oft stößt man an die Grenzen dessen, was die Welt bereit ist wahrzunehmen.

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